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Das Seminar für ländliche Entwicklung (SLE) der Humboldt-Universität zu Berlin forscht über den Strukturwandel im Afrika südlich der Sahara und entwickelt Lösungen für eine sozial inklusivere und nachhaltigere Gestaltung.
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) - Sondereinheit "EINEWELT ohne Hunger" (SEWoH)
Prof. Dr. Gabriele Beckmann, Erik Engel, Anja Kühn, Marghitta Minnah, Dr. Susanne Neubert (Projektleitung/Ansprechpartnerin), Prof. Dr. Theo Rauch, Dr. Simone Rettberg, Daniela Richter, Anja Schelchen, Alfons Üllenberg
Dr. Malte Steinbrink, Universität Osnabrück; Prof. Dr. Harald Grethe, Albrecht Daniel Thaer-Institut der Humboldt-Universität; Prof. Dr. Beate Lohnert, Universität Bayreuth
2014 bis 2017
Ländlicher Strukturwandel wird durch unterschiedliche Trends und Treiber charakterisiert. In Europa und Ostasien wurde der ländliche und landwirtschaftliche Strukturwandel im 19. und 20. Jahrhundert besonders durch die Produktivitätszunahme in der Landwirtschaft und die Industrialisierung angetrieben. Durch Mechanisierung und andere Technologien wurden Arbeitskräfte auf dem Lande freigesetzt, die in die Städte migrierten und dort teilweise in den wachsenden Industriebetrieben neue Beschäftigung fanden. Komplementär wuchsen die landwirtschaftlichen Betriebsgrößen an und so konnten Skaleneffekte genutzt werden, durch die ein relativer Wohlstand auf dem Lande erzielt oder gehalten werden konnte. Die Einkommensunterschiede zwischen Land- und Stadtbevölkerung blieben dabei begrenzt. Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe nahm und nimmt kontinuierlich ab. Trotz sozialer Verwerfungen kam es nicht zu einer massenhaften Verarmung der ländlichen oder städtischen Bevölkerung.
Das Seminar für ländliche Entwicklung (SLE) der Humboldt-Universität zu Berlin forscht zu diesem Thema. Dabei steht nicht die Frage im Mittelpunkt, welche Chancen und Risiken mit ländlichem Strukturwandel allgemein einhergehen. Vielmehr untersucht das SLE, ob es einen spezifischen ländlichen Strukturwandel in Afrika gibt, der sich von dem europäischen und ostasiatischen unterscheidet und wie die identifizierten Veränderungen, seien sie strukturell oder nicht, sozial inklusiver und ökologisch nachhaltiger gestaltet werden können.
Die empirischen Analysen dieses Forschungsprojekts wurden in Sambia, Benin und im Tiefland Äthiopiens durchgeführt. Unter der Moderation des SLEs identifizierten lokale Experten und Expertinnen mit Hilfe der Szenariotechnik (qualitativ und partizipativ) Trends und entsprechende Einflussfaktoren innerhalb verschiedener Sektoren und entwickelten gemeinsam Zukunftsszenarien. Die drei genannten Länder wurden ausgewählt, weil sie unterschiedliche Charakteristika aufweisen und somit zusammengenommen eine hohe Bandbreite afrikanischer Länder repräsentieren. Während das flächengroße Binnenland Sambia eine Rohstoffökonomie und dünn besiedelt ist, ist das kleine Küstenland Benin ein Agrarland und dicht besiedelt. Die Wirtschaftsweise im dünn besiedelten ariden und semi-ariden Tiefland Äthiopiens ist durch mobile Viehwirtschaft gekennzeichnet, während die anderen beiden Länder im ländlichen Raum vorrangig kleinbäuerlich geprägt sind.
Die leichten Veränderungen, die sich abzeichnen, sind mit dem Strukturwandel in Europa und Ostasien nicht zu vergleichen, sondern sind spezifisch afrikanisch
Im Ergebnis zeigt sich, dass in Sambia und Benin bisher kein oder nur ein sehr verhaltener ländlicher Strukturwandel stattgefunden hat bzw. stattfindet. Die leichten Veränderungen, die sich abzeichnen, sind zudem mit dem Strukturwandel in Europa und Ostasien nicht zu vergleichen, sondern sind spezifisch afrikanisch. Beispielsweise gibt es in Sambia und Benin im nationalen Durchschnitt nur sehr verhaltene Produktivitätszuwächse mit unterschiedlicher Ursache. In Benin sind sie vor allem durch die Kommerzialisierung weniger, besser gestellter Betriebe und in Sambia vor allem auf die wachsende Verbreitung des Düngersubventionsprogramms zurückzuführen. Hierdurch wurden zwar die sehr niedrigen Durchschnittserträge der Anbaukulturen etwas hochgetrieben, viele ressourcenschwache kleinbäuerliche Betriebe weisen jedoch nach wie vor eine stagnierende oder sogar sinkende Produktivität auf. Gründe der fortschreitenden Bodendegradierung sind die auf Mais ausgerichteten einseitigen Anbaumuster, ein sehr unvollständiger Nährstoffersatz und das Aussetzen des Bodens der Wind- und Wassererosion. Hinzu kommen für das dünn besiedelte, infrastrukturschwache Sambia sehr geringe Vermarktungsmöglichkeiten, die die Diversifizierung der Landwirtschaft behindern, weil es dafür keine Anreize gibt.
Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass die Verhältnisse im ländlichen Raum Afrikas eher unter umgekehrten Vorzeichen stehen, als es damals in Europa oder Ostasien der Fall war. Wanderten die Menschen in Europa unter anderem wegen der Produktivitäts-steigerung ab und weil sie nicht mehr als Arbeitskräfte gebraucht wurden, tun sie es in Afrika eher aufgrund des Fehlens dieser Produktivitätssteigerung und obwohl sie noch gebraucht würden.
Inzwischen migrieren insbesondere die jungen Afrikaner und Afrikanerinnen in hoher Zahl in die Städte, wobei nicht nur die Hauptstädte, sondern auch die kleineren und mittleren Städte avisiert werden. Ihre Arbeitskraft erzielt zu wenig Einkommen und die Agrarprodukte sind nicht konkurrenzfähig wegen internationaler Importe, daher sehen die Menschen oft keine Perspektive auf dem Lande und in der Landwirtschaft.
Man darf sich dabei jedoch keine Entleerung des ländlichen Raumes vorstellen, wie dies in Europa geschieht. Nein, wegen des weiterhin sehr hohen Bevölkerungswachstums in allen afrikanischen Ländern wächst auch die Zahl der Menschen in den ländlichen Räumen mittelfristig weiter an. Die Geburtenrate, die daher in Europa mit dem Strukturwandel sank, ist in den meisten Ländern Afrika weiter auf einem hohen bis sehr hohem Niveau, in manchen Ländern wie Sambia ohne Anzeichen auf Änderung.
Die Masse der kleinbäuerlichen Betriebe hat dabei bis heute nicht die Mittel und oft auch nicht das Know-how, die Bodenfruchtbarkeit zu heben und Pflanzennährstoffe in hinreichender Menge zu ersetzen, um diese Spirale anzuhalten. Dies gilt auch im Rahmen der Düngersubventionen, denn diese reichen mengenmäßig keinesfalls aus. Sie werden zudem in Sambia alleine für Mais und in Benin alleine für den Baumwollanbau bereitgestellt. Auch wenn die Anbaumuster in Benin etwas vielfältiger sind und sich die Landwirtschaft auch in anderen Sachverhalte von Sambia unterscheidet, so ist doch die Bodendegradierung in beiden Ländern ein sehr großes, weiter wachsendes Problem. Im Ergebnis sieht damit die Situation ähnlich aus.
Die meisten Menschen finden in den Städten nicht, was sie suchen
Während daher die Arbeitskräfte in ländlichen Räumen Europas und Ostasiens ehemals durch Mechanisierung und erhöhte Produktivität freigesetzt wurden und gleichzeitig Chancen hatten, Beschäftigung und Einkommen in den Städten zu finden, unternimmt der Großteil der Menschen in afrikanischen Ländern heute diese Abwanderung in die Städte lediglich aus Armutsgründen. Denn die meisten Menschen finden in den Städten nicht, was sie suchen. Die Zahl der (formalen) Beschäftigungsmöglichkeiten ist in den Städten viel zu gering und kann das Gros der zuwandernden Menschen nicht absorbieren. Die Bauwirtschaft und der Dienstleistungssektor, die wenigen Minen oder die landwirtschaftlichen Großbetriebe bieten zusammengenommen bei weitem nicht das Potenzial, die Menschen aufzunehmen. Eine arbeitsintensive Industrialisierung, wie sie in Europa im 19 Jahrhundert stattgefunden hat, wird vermutlich in Afrika niemals in einem vergleichbaren Ausmaß stattfinden. Denn die wenigen modernen Betriebe und Industrien werden im Zuge der Globalisierung auch in afrikanischen Ländern kapitalintensiv und digital arbeiten, d.h. das Gros an (wenig ausgebildeten) Arbeitskräften vom Lande für die Produktion wird auch dann nicht benötigt werden.
Derzeit entstehen daher rund um afrikanische Städte neue Armutsviertel und nicht wenige Menschen entscheiden sich nach einer gewissen Zeit wieder zur Rückwanderung. Aufgrund des sozialen Zusammenhalts der Familien, aber auch aufgrund fehlender formaler sozialer Sicherungssysteme überleben die Menschen in sogenannten multi- oder translokalen Systemen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts oder familiären Netzwerken: Familienmitglieder unterstützen sich gegenseitig in Krisensituationen sowie saisonal, indem sie jeweils dorthin gehen, wo sich gerade die besseren Überlebensmöglichkeiten auftun oder Arbeitskräfte gebraucht werden (zirkuläre Migration). Diese Strategie ist wirksam, d.h. sichert das (Über-)Leben und minimiert Risiken, aber hat nichts mit einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung gemein. Zwar ist diese Strategie der Multilokalität sinnvoll, aber ihr wohlstandserhöhender Effekt ist begrenzt, denn vulnerable Gruppen unterstützen hier andere vulnerable Gruppen, was bestenfalls dazu führt, dass man sich „eben so durchschlägt“.
Familienmitglieder unterstützen sich gegenseitig in Krisensituationen sowie saisonal
Etwas anders ist die Entwicklung in Äthiopien zu beurteilen. Hier ist ein struktureller Wandel am ehesten zu beobachten, wobei auch er spezifisch afrikanische Charakteristika trägt. Dieser besteht in den ariden und semi-ariden Tieflandregionen in einer massiven Veränderung bisheriger Siedlungs- und Landnutzungsmuster, wogegen im Hochland trotz hoher nationaler Wachstumsraten und Erfolge in der Armutsminderung bisher keine breitenwirksamen strukturellen Veränderungen zu verzeichnen sind. Weiterhin lebt ein Großteil der Bevölkerung Äthiopiens, das weiterhin das am wenigsten urbanisierte Land Subsahara-Afrikas darstellt, von kleinbäuerlicher Landwirtschaft unter zunehmend prekären Verhältnissen (Degradierung, extrem kleine Anbauflächen unter einem Hektar). Im Tiefland ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer massiven Verarmung mobiler Viehalter gekommen, da sich die Herdengrößen pro Haushalt drastisch vermindert haben.
Weidegründe degradieren stark, die produktivsten kommunalen Weidegründe in Flussnähe werden durch großflächige Landinvestitionen versperrt und zunehmend privatisiert. Notgedrungen haben die meisten Haushalte begonnen zu einer eher sesshaften, stärker diversifizierten Lebensweise überzugehen. Wo die räumlichen Gegebenheiten es gestatten, wird mobile Weidewirtschaft zunehmend mit subsistenzorientierter Landwirtschaft (v.a. Mais) kombiniert. Gleichzeitig wachsen kleine und mittlere Städte durch die Zuwanderung verarmter Pastoralisten, von Flüchtlingen (Eritrea, Somalia) und Arbeitsmigranten aus Hochlandregionen, ohne entsprechende Absorptionsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Wenngleich Frauen aufgrund ihrer, im Vergleich zu Männern, stärkeren Einbindung in einkommensschaffende nicht-pastorale Tätigkeiten einen Zuwachs an Selbstbewusstsein und Macht erleben, hat sich ihre Arbeitslast stark erhöht. Dies führt zu dem Befund einer weitgehend negativ zu bewertenden strukturellen Transformation in Tieflandgebieten, bei der nur wenige, kommerziell orientierte Großherdenbesitzer gegenwärtig profitieren.
Basierend auf diesen länderbezogenen Trendanalysen, wurden mit Hilfe lokaler Expertinnen und Experten qualitative Zukunftsszenarien bis 2030 entwickelt. Die Ergebnisse dazu lassen sich bald in drei entsprechenden länderbezogenen Studien und einer übergreifenden Studie nachlesen. Aus der Identifikation zukünftiger Schlüsselfaktoren für einen Strukturwandel im ländlichen Raum entwickelt die Forschungsgruppe strategische Ansätze zur sozial inklusiveren und ökologisch nachhaltigeren Gestaltung der identifizierten Trends. Die Handlungsempfehlungen zielen zum einen auf eine verstärkte Entwicklung des ländlichen Raums, der die Perspektiven der Bevölkerung auf dem Land erhöhen und die ökologischen Schäden senken soll, so dass die Abwanderung der Bevölkerung in die Städte verlangsamt wird. Zum anderen werden Strategien entwickelt, die Jobchancen vor allem für junge Menschen in den Städten zu erhöhen.
Die empfohlenen Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung dienen auch der Fluchtursachenbekämpfung
Die Verlangsamung der Verstädterung und die gleichzeitige Schaffung von Arbeitsplätzen sollen dazu beitragen, die begrenzten Kapazitäten der Städte nicht zu überfordern und gleichzeitig dieselben anzuheben. Dies ist ein Kernanliegen, denn sonst ist eine weitere Verarmung logische Konsequenz, die letztlich die Flucht über das Mittelmeer nach sich zieht. Die empfohlenen Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung dienen daher auch der Fluchtursachenbekämpfung.
Die Empfehlungen richten sich in erster Linie auf eine ökologische Intensivierung der Landnutzung zur Erzielung einer höheren Produktivität und einem gleichzeitigen Entgegenwirken der Bodendegradierung, Entwaldung und der Grundwasserabsenkung. Dies wiederum kann nur mit Hilfe nachhaltiger Bodenbewirtschaftung, vielfältigerer Anbaumuster, angepasster Mechanisierung, besserer Vermarktung geschehen. Dabei ist es auch essenziell, die nachgelagerten Schritte in der Wertschöpfungskette zu betrachten. Durch den Aufbau einer Kleinindustrie in kleinen Zentren, zum Beispiel zur Verarbeitung der Produkte, aber auch in der Landwirtschaft vorgelagerten Bereichen (zum Beispiel Maschinen, Geräte) können eine höhere Wertschöpfung und Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ob es gelingt, ländliche Entwicklung zu erreichen und damit auch die nationale Ernährungssicherheit und -souveränität des Landes und der Städte zu erhöhen, hängt neben einer politischen und finanziellen Selbstverpflichtung der nationalen Regierungen und Ministerien aber auch davon ab, ob sich für Agrarprodukte Preise erzielen lassen, die die Produktionsanreize für die Masse der Kleinbauern und -bäuerinnen sowie für die Viehhirten verbessern kann. Ganz ohne die Anpassung der globalen handelspolitischen Verzerrungen an diese Notwendigkeit wird eine solche ländliche Entwicklung nicht zu haben sein.