Kann die G7 in der aktuellen globalen Nahrungsmittelkrise Gutes bewirken?
Carin Smaller, ehemalige Leiterin der Abteilung für Landwirtschaft, Handel und Investition des International Institute for Sustainable Development (IISD) und nun Geschäftsführerin des Shamba Centre for Food & Climate, und David Laborde, Senior Research Fellow am International Food Policy Research Institute (IFPRI) über die Tagesordnung des G7-Gipfels auf Schloss Elmau – von damals bis heute und in Zukunft.
Die Gruppe der Sieben (G7), der zurzeit Deutschland vorsitzt, richtet ihr Augenmerk auf die globale Nahrungsmittelknappheit und Ernährungskrise, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde und deren schlimmste Folgen gefährdete Bevölkerungsgruppen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau (Low- and middle-income countries, LMIC) treffen. Nach den zwei G7-Treffen im Mai wurden vier einzelne Kommuniqués veröffentlicht, von denen jedes mehrere Dutzend Seiten umfasste (allein das Kommuniqué der Entwicklungsminister war 23 Seiten lang!), und eine von den G7 angeführte Globale Allianz für Nahrungsmittelsicherheit (Global Alliance for Food Security, GAFS) wurde gegründet. Diese Treffen der G7 überschnitten sich mit Anstrengungen der UN in derselben Frage, die eine globale Krisenreaktionsgruppe einrichtete und eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Thema Nahrungsmittelsicherheit und Konflikt einberief.
Die Bemühungen der G7-Staaten können helfen, eine angemessene Antwort auf eine Entwicklung zu finden, die sich als schwerste globale Hungerkrise seit Jahrzehnten erweist, und so den Zweifeln an ihrer Relevanz als exklusive Gruppe reicher, elitärer Länder entgegenzuwirken. Um dieses Versprechen zu halten, müssen die Zusicherungen der G7 jedoch durch Taten gestützt werden – vor allem durch die Aufbringung von finanziellen Mitteln.
2015 verpflichtete sich die G7, „bis 2030 500 Millionen Menschen in Entwicklungsländern von Hunger und Mangelernährung zu befreien“. Betrachtet man die Entwicklung der öffentlichen Entwicklungshilfen (Official Development Assistance, ODA) von G7- und Nicht-G7-Staaten für LMIC in den Zeiträumen direkt vor und nach der Verkündung 2015 in Elmau, hat die Nahrungsmittelsoforthilfe zugenommen, während die jährlichen Gesamtausgaben, die notwendig wären, um 500 Millionen Menschen von Hunger und Mangelernährung zu befreien, bei durchschnittlich 12 Milliarden US-Dollar stagnierten. Der Anteil der G7-Staaten betrug dabei ebenfalls fortdauernd 7,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Somit versäumte die G7 sogar noch vor der derzeitigen Krise, zusätzliche Ressourcen verfügbar zu machen, um ihrer in Elmau formulierten Verpflichtung nachzukommen.
Was hat sich geändert?
In ihrem Kommuniqué vom 14. Mai ernannten die Außenminister:innen der G7-Staaten die globale Ernährungssicherheit, vor allem für die Bedürftigsten, zu einem der wichtigsten außenpolitischen Ziele. Die G7-Landwirtschaftsminister:innen setzten indes deutliche Zeichen im Hinblick auf alle Aspekte globaler Landwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit, indem sie dem Agrarmarkt-Informationssystem (AMIS) der G20 bestimmte finanzielle und technische Unterstützung boten, das auf den Märkten für Nahrungsmittel, Landwirtschaft und Düngemittel Transparenz schafft, wodurch weitere Einbrüche begrenzt und einzelne Länder davon abgehalten werden, einseitige Maßnahmen wie Exportverbote zu ergreifen, die den Hunger weltweit vergrößern würden.
Die Entwicklungsminister:innen der G7-Staaten gehen in ihrem Kommuniqué noch einen Schritt weiter und legen weitere Einzelheiten und Ziele dar. Die Minister:innen verpflichteten sich gleichzeitig zu einer klaren Antwort auf die Krise sowie zu einer Langzeitstrategie auf der Grundlage wissenschaftlicher Belege, um bis 2030 die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) zu erreichen und weiteren Schocks widerstandsfähiger zu begegnen. Die Ankündigung der GAFS, die als Reaktion auf die globale Hungersnot eng mit anderen zusammenarbeiten wird, besonders mit dem Globalen Programm für Landwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit (Global Agriculture and Food Security Program, GAFSP) und den Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (International Fund for Agricultural Development (IAFD), wird voraussichtlich 12 Milliarden US-Dollar mobilisieren. Außerdem würdigt das Kommuniqué andere Initiativen, darunter die globale Krisenreaktionsgruppe der UN, die von Frankreich angeleitete Mission für die Resilienz im Lebensmittel- und Agrarsektor (Food and Agriculture Resilience Mission, FARM-Initiative) und der von Italien geführte Ministerdialog der Mittelmeerländer zur Nahrungsmittelkrise (Mediterranean Ministerial Dialogue on the Food Security Crisis).
Das Kommuniqué bestätigt erneut die Verpflichtung der G7, 0,7 Prozent ihrer Bruttonationaleinkommen (BNE) als ODA zu zahlen und die fallende Tendenz der ODA an die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDC) umzukehren. Dies ist unentbehrlich, um die zusätzlichen Entwicklungshilfen aufzubringen, und übt darüber hinaus Druck auf Länder wie das Vereinigte Königreich aus, das zuletzt versuchte, diese Verpflichtung rückgängig zu machen, und deren Beihilfesätze im vergangenen Jahr auf 51 Prozent sanken. Außerdem rückt es Mitglieder der G7 wie die Vereinigten Staaten und Japan in den Fokus, deren nationale Politik die 0,7-Prozentmarke bislang nicht offiziell als Ziel aufgreift.
Die Verpflichtung, „die langfristige Resilienz und Nachhaltigkeit von Agrar- und Ernährungssystemen zu fördern statt zu schwächen“ stellt den Bedarf heraus, über die Krise und die Notfallhilfe hinaus zu denken.
Eine solches langfristiges Konzept angesichts der schwersten Hungerkrise seit Jahrzehnten bezeugt ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen einem fragilen Ernährungssystem und seiner Anfälligkeit gegenüber Schocks – nicht nur heute, sondern auch in Zukunft.
Für die Zukunft richten die Entwicklungsminister:innen der G7-Staaten ihren Blick nach innen, auf die Agrarpolitik ihrer jeweiligen Länder, die die Bemühungen um die globale Nahrungsmittelsicherheit und die Verpflichtungen im Kampf gegen den Klimawandel schwächen könnte. Die G7 verpflichtet sich, „den Wert der Einrichtung eines Wissensnetzwerks für die Transformation von landwirtschaftlichen Strategien in enger Abstimmung mit bestehenden Initiativen zu erkunden“ (Abschnitt 13). Diese Verpflichtung bezieht sich auf eine Reihe von Studien der UN, des IFPRI und anderer zur Notwendigkeit, Milliarden von Dollar für die Förderung der Landwirtschaft in den G7-Staaten einem neuen Zweck zuzuschreiben, weg von einer Unterstützung, die dem Klima, der Biodiversität, der Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung, der menschlichen Gesundheit und der Umwelt schadet. Ziel des Wissensnetzwerks wäre es, Informationen zu sammeln und die negativen Auswirkungen von Agrarbeihilfen zu analysieren, damit diese auf andere Formen der Förderung umgelenkt werden könnten, wie Forschung und Entwicklung oder Rettungsschirme für Landwirte. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Schritt, dass die Agrarpolitik in den Staaten zum Erreichen der Klimaziele beitragen würde, sowie um ein bedeutendes Signal in Vorbereitung auf die COP27.
Auch durch die Unterstützung der Zero Hunger Coalition, einer langfristig angelegten Allianz zur nahrhaften und nachhaltigen Beseitigung von Hunger bis 2030, erkennt die G7 die Notwendigkeit an, auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu handeln. Diese Zusammenarbeit gründet auf den Outcomes des UN-Welternährungsgipfels 2021, einschließlich der Bestätigung der Verpflichtungen durch Unternehmen im Zero Hunger Private Sector Pledge, das derzeit Zusagen in Höhe von 458 US-Dollar von 43 Unternehmen in 48 Ländern umfasst.
Entscheidend ist außerdem, dass nun auch die übrigen G7-Staaten Kanadas Beispiel folgen und eine feministische Entwicklungspolitik unterstützen, um zu gewährleisten, dass alle Entwicklungsmaßnahmen „zunehmend Gerechtigkeit unter und die Gleichstellung aller Geschlechter und sexueller Identitäten zum Ziel haben“. Das ist eine wesentliche Politikänderung. Auf diese Weise werden der umfassenden Vernachlässigung von Frauen in der landwirtschaftlichen Entwicklung vorgebeugt, eine Gleichberechtigung der Geschlechter erzielt und Frauen gestärkt.
Diese erklärten Prioritäten sind ehrgeizige Ziele, die einen echten Unterschied machen können. Trotzdem muss sich die G7 zu genügend öffentlichen Entwicklungshilfen verpflichten, um die langfristige Agenda umsetzen zu können. Ohne diese zusätzlichen Ressourcen bleiben ihre Versprechen leer.
Wie können Verpflichtungen in Taten umgesetzt werden?
In ihrem Mai-Kommuniqué bekennen sich die Entwicklungsminister:innen der G7-Staaten erneut zum 2015 in Elmau gesteckten Ziel und fügen hinzu, dass die Schritte hin zu diesem „auf der fundierten wissenschaftlichen Ermittlung des finanziellen Bedarfs und den effizientesten Maßnahmen und Ansätzen zum nachhaltigen Erreichen dieses Ziels“ gründen werden – ein Verweis auf eine Reihe wissenschaftlicher Studien von Ceres2030, ZEF und FAO. In diesen Studien wurde nachgewiesen, dass die Geber ihre derzeitigen ODA-Beiträge zu Landwirtschaft und Ernährungssicherheit verdoppeln müssen, um das Ziel zu erreichen. Explizit sind bis 2030 zusätzliche ODA für Landwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit in Höhe von 14 Milliarden US-Dollar nötig, und dass diese in 10 Investitionsbereichen mit großer Wirkung effizienter eingesetzt werden. Den Entwicklungsminister:innen der G7-Staaten gebührt Applaus für das starke Bestreben und Engagement, das sie in ihrem Kommuniqué festgehalten haben. Doch das wahre Zeugnis der Ambitionen der G7 liegt in der Antwort auf die Frage, ob diese Ziele mit den Ressourcen untermauert werden, die erforderlich sind, um sie zu erreichen.
Auf ihren Treffen im Mai versprachen die G7-Finanzminister:innen weitere 20 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022, um die Ukraine im Kampf gegen die russische Invasion zu unterstützen. Diese Unterstützung ist für die ukrainische Bevölkerung unerlässlich. Die USA sicherten der Ukraine eigens zusätzliche 40 Milliarden US-Dollar zu. Überwältigend in Größe und Zielsetzung, fließen 2 Prozent dieses Hilfspakets durch den US-amerikanischen Fonds für wirtschaftliche Unterstützung oder durch den Multigeber-Fonds GAFSP in die langfristige Landwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit auf bilateraler Ebene. Sofern sich die G7 nicht ebenfalls zur Bereitstellung von Ressourcen für jene verpflichtet, die weltweit gegen Hunger kämpfen, kann der Krieg gegen den Hunger nie gewonnen werden.