Was Gender und Klima vereint
Sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Anpassung an den Klimawandel können Frauen eine entscheidende Rolle im Veränderungsprozess einnehmen. Die Realität sieht oft noch anders aus – Frauen und Mädchen werden von der Klimakrise besonders hart getroffen. Findet das Thema Gender auf der anstehenden Klimakonferenz ausreichend Gehör? Fragen an Bettina Jahn von UN Women Deutschland.
Naturkatastrophen unterscheiden nicht zwischen Geschlechtern. Wieso werden Frauen und Männer unterschiedlich vom Klimawandel getroffen?
Bettina Jahn: Alle Krisen – so auch die Klimakrise – verstärken Ungleichheiten, die bereits bestehen. Natürlich unterscheidet zum Beispiel eine Überschwemmung nicht zwischen Geschlechtern. Aber die Überschwemmung und ihre Folgen treffen Menschen unterschiedlich stark, je nachdem, wie gut sie auf eine Katastrophe vorbereitet waren, wie schnell sie gewarnt wurden, wie gut sie flüchten können oder wie gut sie sich von den Folgen erholen können. Und leider stehen da Frauen im Vergleich deutlich schlechter da.
So kommt es, dass etwa Frauen bei Naturkatastrophen mit einer bis zu 14 Mal höheren Wahrscheinlichkeit als Männer sterben.
Das zeigte sich zum Beispiel beim Tsunami 2004 in Sri Lanka. Dort hatte die höhere Sterberate von Frauen viele Gründe, die auf der strukturellen Benachteiligung beruhen: Viele Frauen konnten im Gegensatz zu Männern nicht schwimmen. Die traditionelle lange, enganliegende Kleidung erschwerte ihre Flucht. Während Männer zum Zeitpunkt der Katastrophe meist erwerbsarbeiten waren, hielten sich Frauen vermehrt Zuhause auf und wurden zu spät gewarnt. Bei ihrer Flucht waren sie für Kinder und ältere Familienmitglieder verantwortlich und damit viel langsamer. Nach Naturkatastrophen steigt die sexualisierte und häusliche Gewalt gegen Frauen deutlich an. Auf der Flucht sind sie einem hohen Risiko von Gewalt oder Zwangsprostitution ausgesetzt.
Die Mehrheit der Armen in der Welt sind Frauen, sie haben meist weniger Ersparnisse und finanzielle Sicherheiten, die eine Krise oder Katastrophe abfedern könnten. Frauen, insbesondere indigene Frauen, leben meist in höherer Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen. Werden diese Ressourcen durch die Folgen des Klimawandels knapper, schwindet die Lebensgrundlage dieser Frauen. Die Ärmsten der Welt und Menschen in prekären Situationen, insbesondere Frauen und Mädchen, tragen die Hauptlast der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Klimakrise.
Ist es ein Zufall, dass Fridays for Future von jungen Frauen angeschoben wurde und wird?
Ich denke nicht, dass es ein Zufall ist, sondern zeigt, dass viele junge Frauen einen Systemwandel möchten. Und es ist eine wichtige Chance, dass Frauen als Change Maker wahrgenommen werden und nicht nur als Opfer der Klimakrise. Allerdings zeigt das Beispiel der Klimaaktivistinnen, wie schwierig es ist, sich als junge Frau im gesellschaftlichen Diskurs Gehör zu verschaffen, ohne massiver Kritik und Gewalt ausgesetzt zu sein. Greta Thunberg, Luisa Neubauer und andere Aktivistinnen erleben massiven Online-Hass und sexistische oder verniedlichende Kommentare, die ihre Glaubwürdigkeit herabsetzen und sie ernsthaft gefährden.
Die vergangenen drei Jahre sahen lauter Krisen: Pandemie, Kriege, Umweltabbau. Waren es auch drei Jahre, in denen Frauenrechte Rückschritte machten?
Leider ja, und das hat vielfältige Gründe. Zum einen sind Krisen, wie bereits angedeutet, nicht geschlechtsneutral und treffen Frauen besonders hart. Zum anderen ist das Thema Gleichstellung an vielen Stellen in den Hintergrund gerückt, weil es „Wichtigeres“ gab. So hat zum Beispiel nicht nur die Corona-Krise an sich Frauen besonders stark getroffen, sondern politische Maßnahmen haben zudem ihre Bedürfnisse und Lebensrealitäten gar nicht berücksichtigt.
Die Pandemie hat zu einer Retraditionalisierung der unbezahlten Sorgearbeit geführt, viele Frauen haben ihre Erwerbsarbeit stark reduzieren müssen oder haben ihre Arbeit ganz verloren.
In vielen Ländern der Welt haben rechte oder rechtsradikale Parteien und Gruppierungen an Einfluss gewonnen, die Frauenrechte zum Teil massiv und offen einschränken.
Findet die Rolle der Frauen bei der anstehenden COP ihren angemessenen Platz?
Gleichstellung spielt bei den Klimaverhandlungen seit einigen Jahren eine Rolle. Seit 2012 ist "Gender und Klima" als fester Punkt auf der Tagesordnung der COP, Gender ist in der Präambel des Pariser Klimaabkommens 2015 verankert, 2017 wurden in Bonn Beschlüsse zu Gender, die sich als Aufträge an die Regierungen verstehen lassen, in Form eines Gender-Aktionsplans (Gender Action Plan) konkretisiert. Es hapert in den meisten Ländern aber leider weiter bei der Umsetzung der Genderperspektive.
Für Sharm el-Sheikh stehen schon einige Veranstaltungen mit Gender-Fokus fest, und es wird einen extra „Gender Tag“ geben. Ein Zusammenschluss afrikanischer feministischer Aktivistinnen hat im Vorfeld eine Reihe kollektiver Forderungen für die COP formuliert, zur Führungsrolle von Frauen und Jugendlichen in Klimaprozessen, Landrechten sowie Intersektionalität. Wir hoffen, dass diese Stimmen bei der COP Gehör finden.
Äußert sich das auch an den Teilnehmerinnen? Wie viele werden es sein?
Letztes Jahr bei der COP26 waren 38 Prozent aller nationalen Delegierten Frauen und nur zehn Prozent der Delegationsleitenden, da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Die Verbesserungen in den letzten Jahren verliefen nur sehr langsam – 2009 waren es 30 Prozent beziehungsweise zehn Prozent. Mir liegen aktuell keine Zahlen zu den Teilnehmerinnen vor, aber ein großer Sprung hin zur Parität ist nicht zu erwarten.
Welchen Part wird UN Women spielen?
UN Women beteiligt sich an den COPs, indem sie zum Beispiel im Vorhinein COP-Dokumente aus einer Gender-Perspektive analysiert, vor Ort die Teilnehmenden unterstützt und berät, an Panels teilnimmt oder Veranstaltungen organisiert. Außerdem ermöglicht UN Women Frauen und Mädchen aus dem Globalen Süden die Teilnahme an der COP und verstärkt so deren Stimmen.
Warum können Frauen Triebkräfte für Veränderungen im Kampf gegen den Klimawandel sein? Worin unterscheiden sie sich von Männern?
Verschiedene Umfragen und Studien und den USA und Europa haben ergeben, dass Frauen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an den menschengemachten Klimawandel glauben und eher dazu bereit sind, ihr Verhalten zu ändern. Das sind ja schon mal zwei grundlegende Voraussetzungen für wirkliche Veränderungen. Männer glauben eher an technische Lösungen im Umgang mit dem Klimawandel – wir sind inzwischen aber an einem Punkt, an dem technische Lösungen allein nicht reichen, sondern wir tiefgreifende Veränderungen und einen Systemwandel brauchen, um die Klimakatastrophe etwas abzufedern. Die gerade erwähnten Klimaaktivist*innen stehen für diesen Wandel.
Das ist aber auch ein bisschen gefährlich: Oft werden Frauen als diejenigen betrachtet, die die Welt aufräumen und retten werden. Erstens ist es nicht gerecht, Frauen diese Verantwortung zu übertragen. Zweitens sind die Aktivistinnen eben Hass und Gewalt ausgesetzt. Und drittens funktioniert das nicht, solange Führungs- und Entscheidungspositionen weiter von Männern und Männlichkeit dominiert sind. Und Männer profitieren am stärksten vom bestehenden System. Und es klingt extrem klischeebehaftet, aber Zahlen besagen, dass Männer einen größeren CO2-Fußabdruck haben, insbesondere durch Ernährung und Mobilität. Sehr viele Männer sind leider weiterhin mit einem toxischen, stereotypen Männlichkeitsbild sozialisiert, zu dem Fleischkonsum und schnelle Autos gehören. In unserer Solidaritätsbewegung #HeForShe geht es unter anderem darum, dass wir alle frei von diesen starren Geschlechterrollen leben können, die am Ende allen schaden, inklusive dem Klima.
Wichtig ist aber auch: Bei feministischer Klimapolitik geht es nicht darum, einer Gruppe die Schuld zuzuweisen und eine andere Gruppe zu romantisieren, sondern es geht darum, alle Menschen und alle Perspektiven in die Ideen- und Entscheidungsfindung im Umgang mit dem Klimawandel einzubeziehen und einen wirklichen Wandel zu bewirken.
Sind Frauen in der Landwirtschaft offener für neue innovative Nachhaltigkeitsideen?
Zunächst einmal liegt ein Problem darin, dass Frauen weltweit gar nicht denselben Zugang zu eigenem Land und Produktionsmitteln haben.
Laut Daten der UN könnten Landwirtinnen ihre Ernteerträge um 20 bis 30 Prozent steigern, wenn sie den gleichen Zugang zu Ressourcen hätten wie ihre männlichen Kollegen – also Schulungen, Finanzierung und Eigentumsrechte.
Das bedeutet 20 bis 30 Prozent mehr Nahrung vom selben Garten oder vom selben Feld; mit entsprechenden Auswirkungen auf Hunger, Gesundheit, Haushaltseinkommen – und Klima, weil weniger Fläche für Land abgeholzt werden muss. Im Umgang mit indigenen Frauen hat sich gezeigt, dass es gar keine neuen innovativen Nachhaltigkeitsideen in der Landwirtschaft braucht, sondern traditionelle landwirtschaftliche Methoden am besten für erschwerte Bedingungen geeignet sind.
Die Genderperspektive bei Klimaschutzprojekten mitdenken – wie sieht das konkret aus?
Grundsätzlich muss es darum gehen, dass Klimaschutzmaßnahmen alle Menschen, Bedürfnisse und Lebensrealitäten miteinbeziehen und Ungleichheiten nicht verstärken. Bei allen Klimamaßnahmen muss etwa genau geprüft werden, ob alle Geschlechter gleichermaßen davon profitieren, ob dadurch die Teilhabe von Frauen verbessert wird oder ob die Maßnahme zu einer Veränderung geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse und Aufgabenzuweisungen beiträgt.
Klimaschutzmaßnahmen werden derzeit noch sehr stark in patriarchal geprägten Denkmustern beschlossen, bestimmte Sektoren werden bevorzugt. Greenjobs zum Beispiel, also grüne Arbeitsplätze, die im Rahmen der Klimaanpassung neu entstehen, fallen meist in von Männern dominierte Sektoren – beispielsweise erneuerbare Energien. In der Mobilitätspolitik muss berücksichtigt werden, dass die täglichen Wege einer sorgearbeitenden Person (größtenteils Frauen) viele verschiedene Stationen haben, statt Zuhause – Arbeit – Zuhause, gehören Kita, Schule, Supermarkt, Ärzt*innen und so weiter zum täglichen Weg, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrrad gemanagt werden muss.
Wir haben im Mai das Projekt „EmPower – Women for Climate-Resilient Societies“ ausgezeichnet, das in Bangladesch, Vietnam und Kambodscha Klimaschutz und Gleichstellungsarbeit zusammenzubringt, um Frauen eine Stimme zu geben. Das Projekt ermutigt Frauen und marginalisierte Gruppen, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, generiert Geschlechts-, Alters- und Diversitätsspezifische Daten, verbessert die Genderperspektive in Klima- und Katastrophenschutz-Politik und unterstützt Frauen darin, erneuerbare Energien zu nutzen.
Welche Folgen hat es fürs Klima, wenn sich bei den Verhältnissen von Frauen und Männern nichts ändert?
Ohne Geschlechtergerechtigkeit keine Klimagerechtigkeit. Wie schon erwähnt, hängen toxische Männlichkeitsbilder eng mit klimaschädlichem Verhalten zusammen. Wenn wir diese Geschlechternormen und das „Höher, Weiter, Schneller“ der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft nicht überwinden, hat das fatale Auswirkungen auf unser Klima.
Wenn Entscheidungs- und Führungspositionen weiter von Männern und Männlichkeit dominiert werden, erreichen wir nicht den Wandel, der notwendig wäre, um die Klimakrise einzudämmen.