Warum Biodiversität wichtig für Klimaschutz & Ernährung ist – und umgekehrt
Die Welt steht vor großen Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Wir müssen eine stetig wachsende Bevölkerung ernähren, den Klimawandel unter Kontrolle bringen und den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen. Martina Fleckenstein, Direktorin für globale Politik beim WWF, über die Erwartungen hinsichtlich Artenvielfalt und Biodiversitätserhalt an die Klimakonferenz.
Die Welt steht vor großen Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Wir müssen eine stetig wachsende Bevölkerung ernähren, den Klimawandel unter Kontrolle bringen und den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen. Wird nur eine dieser drei Herausforderungen nicht ausreichend angegangen, werden wir katastrophale soziale, ökologische und wirtschaftliche Folgen erleben.
Betrachten wir die Fakten
Unsere Ernährungssysteme und die landwirtschaftliche Produktion tragen mit 30 Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen bei. 70 Prozent des weltweit genutzten Oberflächen- und Grundwassers wird in der Landwirtschaft für die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln oder von Rohstoffen für die energetische Nutzung verbraucht. In den Entwicklungsländern sind es sogar 90 Prozent, häufig verbunden mit hohem Einsatz von Dünger und Chemikalien. 70 Prozent des Verlustes der Biodiversität ist auf Landnutzungsänderungen im großen Stil zurückzuführen, hier insbesondere auf die Vernichtung von Grasländern und Wäldern. Mehr als 2 Milliarden Menschen sind übergewichtig, gleichzeitig hungern jeden Tag mehr als 820 Millionen Menschen. Die Vielfalt unserer Ernährung ist verarmt, 60 Prozent des globalen Kalorienbedarfs wird von drei Pflanzen abgedeckt: Mais, Reis und Weizen.
Dies sind die harten Fakten. Die gute Nachricht ist jedoch, dass unsere Nahrungsmittelproduktion auch Teil der Lösung sein kann. Wichtige Weichen dazu können auf der 27. Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh und auf der Biodiversitätskonferenz im Dezember in Montreal gestellt werden.
Das Ernährungssystem, der fehlende Teil in der Klimadiskussion
Kurzfristige Lösungen müssen mit langfristigen Strategien in Einklang gebracht werden, um alle Menschen innerhalb der planetaren Grenzen zu ernähren, unsere natürliche Umwelt wiederherzustellen und die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Die COP 27 ist die erste Klimakonferenz, die das Thema Agrar- und Ernährung im offiziellen Programm der Präsidentschaft aufgenommen hat. Eine Rekordzahl an Veranstaltungen und Pavillons konzentrieren sich auf die Nahrungsmittelproduktion. Bereits auf dem UN-Ernährungsgipfel 2021 und der Klimakonferenz in Glasgow wurden eine Vielzahl an Vereinbarungen und Verpflichtungen zur Verbesserung des Ernährungssystems beschlossen, aber Analysen zeigen (State of Climate Actions), dass die Umsetzung äußerst schleppend voranschreitet.
Einbindung von Ernährungssystemen in die globale klimapolitische Steuerung
Für die Ernährungssysteme spielen die Koronivia Joint Work on Agriculture (KJWA) unter der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC) und die verpflichtenden nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs) im Rahmen des Pariser Klimaabkommens eine entscheidende Rolle.
Auf der COP 27 soll über das künftige Mandat der Koronivia Joint Work on Agriculture (KJWA) entschieden werden. Zur Diskussion steht die zukünftige inhaltliche und strukturelle Ausrichtung der auf der COP 23 in Bonn beschlossenen Arbeitsgruppe, die die Zielsetzung hat, effektive Maßnahmen zu erarbeiten, die zur Minderung der Emissionen von Treibhausgasen und zu Anpassungen im Landwirtschaftssektor beitragen. Bis dato wurden folgende Themenbereiche in den Arbeitsgruppen betrachtet: Bodennutzung und Bodengesundheit, Nährstoffnutzung und Düngereinsatz im Pflanzenbau, nachhaltige Nutztierhaltung und sozioökonomische Fragen aus dem Bereich der Landwirtschaft sowie grundsätzliche Fragen der Ernährungssicherung. Nun ist die Frage, wie die nächste Phase, die auf diese Themenworkshops aufbaut, ausgestaltet werden soll. Ein Komitee oder ein Arbeitsprogramm, mit welchen Themen und Prioritäten?
Um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, ist es entscheidend, alle Elemente des Ernährungssystems zu berücksichtigen – vom Feld bis zum Teller.
Dies schließt auch Maßnahmen zur Verringerung von Lebensmittelabfällen und -verlusten sowie eine Umstellung unserer Ernährung hin zu weniger Fleisch und mehr pflanzlichen Produkten ein. Um den Verlust der biologischen Vielfalt zu vermeiden sowie die Ernährungssicherheit zu verbessern, sind die Elemente der Agrarökologie von entscheidender Bedeutung und sollten in die weitere Ausrichtung einbezogen werden.
Die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens festgelegten Vereinbarungen der Vertragsstaaten über nationale Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) stellen Bemühungen der einzelnen Länder zur Reduzierung der nationalen Emissionen und zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels dar. Sie bieten eine Plattform, um politische Prioritäten zu bündeln und den nationalen Bedarf an Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen zu ermitteln, um den Klimawandel durch eine Änderung der Ernährungssysteme zu bekämpfen.
Der soeben veröffentlichte UNFCCC Synthesis Report zeigt jedoch, dass die nationalen Klimaschutzbeiträge bei weitem nicht ausreichen, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, dies gilt auch für den Ernährungs- und Landwirtschaftsbereich. Eine von WWF durchgeführte Untersuchung zeigt zwar eine positive Tendenz hinsichtlich der Einbindung von Maßnahmen für den Ernährungssektor in die NDCs, aber die Ambitionen sind immer noch zu gering, um die dringend notwendige Kehrtwende einzuleiten. Bis zum 30. September 2022 haben von den insgesamt 160 Vertragsparteien 134 Länder aktualisierte oder überarbeitete NDCs vorgelegt. Dabei ist eine generelle Tendenz zur Aufnahme von Maßnahmen für den Ernährungssektor zu verzeichnen: 93 % der Länder haben mindestens eine Maßnahme in den NDCs im Vergleich zu 79 % im Jahr 2020; dennoch gibt es erhebliche Defizite und viel zu geringe Ambitionen im Bereich der Lebensmittelverschwendung sowie bei Konsum und Ernährung. Hier besteht ein immenser Handlungsbedarf.
Was erwarten wir von der Klimakonferenz
Von der Klimakonferenz erwarten wir, dass Schritte zur konkreten Umsetzung im Mittelpunkt der Entscheidungen stehen. Dies gilt sowohl für die Diskussion über die Fortführung der Koronivia Joint Work on Agriculture als auch für die Frage, wie die Ziele des Pariser Klimaabkommens durch ambitionierte nationale Klimaschutzbeiträge erreicht werden können. Regierungen und nichtstaatliche Akteure müssen die Transformation des Agrar- und Ernährungssektors zu einer Priorität der Klimakonferenz machen. Dies sollte sich in klaren Statements in der Abschlusserklärung zur Konferenz widerspiegeln. Die Geberländer müssen ihre finanziellen Zusagen einhalten und Finanzmittel für naturbasierte Lösungen (nature-based solutions) für den Landwirtschafts- und Ernährungssektor bereitstellen. Es ist mehr als dringend erforderlich, die Finanzmittel für die Agrar- und Ernährungswirtschaft von Maßnahmen mit umwelt- und klimaschädlichen Auswirkungen auf solche umzulenken, die positiv auf Natur, Klima und Menschen wirken. Bisher gegebene Versprechen und Zusagen von Regierungen und nicht-staatlichen Akteuren müssen umgesetzt und eingegangene Verpflichtungen erfüllt werden. Wir brauchen keine neuen Luftschlösser, sondern solide Gebäude auf festem Grund. Die Implementierung von Maßnahmen muss zukünftig Vorrang haben.
Die COP27 findet einen Monat vor der globalen Biodiversitätskonferenz in Montreal statt. Im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt werden sich die Länder auf einen Rahmen für die Zeit nach 2020 einigen, um den Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten und umzukehren.
Die Klimagemeinschaft muss signalisieren, dass ein starkes neues globales Abkommen über die Natur unerlässlich ist, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.