COP27: Agrar- und Ernährungssysteme im Fokus der Klimadiskussion
Stephanie Heiland, Projektleiterin Sektorvorhaben Landwirtschaft und Teil der diesjährigen Observer Delegation der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei der COP27, teilt ihre Einblicke, welche Rolle Agrar- und Ernährungssysteme bei der Klimakonferenz einnahmen. Sie berichtet unter anderem vom COP27 Side-Event „Klimaresiliente Agrar- und Ernährungssysteme in Zeiten multipler Krisen und Fragilität“ der GIZ.
Wir blicken auf zwei hektische Wochen in Sharm el-Sheik zurück, sicherlich mit gemischten Gefühlen. Aber eines ist klar: Die Transformation der Agar- und Ernährungssysteme und deren elementare Rolle bei der Bewältigung globaler Krisen ist bei der COP angekommen.
Mit dem Klimawandel, der Corona-Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine erleben wir drei gravierende Krisen zur gleichen Zeit, die die globale Ernährungsunsicherheit weiter verschärfen. Insbesondere die Länder des globalen Südens sind von den Auswirkungen des Klimawandels stark betroffen: Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen, Veränderungen der Niederschlagsmuster und Extremwetterereignisse bedrohen Ernten und das Leben von Millionen Menschen. Gleichzeitig stammen über 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus der Agar- und Ernährungswirtschaft. Die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Flächen ist für bis zu 90 Prozent der weltweiten Entwaldung verantwortlich. Agrar- und Ernährungssysteme gelten zudem als Hauptverursacher für den Verlust biologischer Vielfalt. Daher betonte auch Simon Stiell, der neue UN-Klimachef, in Sharm el-Sheik:
“Ohne eine Senkung der Emissionen aus der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette können wir die 1,5°C nicht einhalten. Und wenn wir die anhaltende Klimakrise nicht in den Griff bekommen, wird auch unser Lebensmittelsystem gefährdet sein.”.
Agrar- und Ernährungssysteme sind sowohl Bedrohung als auch wirkungsvoller Hebel für die Förderung der menschlichen und planetaren Gesundheit. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der COP ein neuer Vierjahresplan für Landwirtschaft und Ernährungssicherung verabschiedet, der ganzheitliche Ansätze fördern und eine wichtige Koordinierungsdrehscheibe für Diskussionen und politische Entscheidungen zu diesen Themen sein wird. Während in den letzten zehn Jahren das Thema Minderung in den landwirtschaftlichen Entscheidungen innerhalb der UNFCCC nicht aufgegriffen wurde, wird diese im neuen Sharm el-Sheik Joint Work on Climate Action on Agriculture and Food Security explizit erwähnt. Auch das Abschlussdokument der COP27 erkennt die grundlegende Priorität der Gewährleistung der Ernährungssicherheit und der Beendigung des Hungers sowie die Anfälligkeit der Nahrungsmittelproduktion gegenüber dem Klimawandel an.
Zahlreiche neue Initiativen wurden auf der COP ins Leben gerufen, mit dem Ziel, Agrar- und Ernährungssysteme an die Folgen des Klimawandels anzupassen, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern und die Lebensgrundlage der weltweit 500 Mio. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die ein Drittel der Nahrungsmittel produzieren, zu verbessern. Besonders viel Aufmerksamkeit bekam die von der ägyptischen COP27-Präsidentschaft gemeinsam mit 20 Landwirtschaftsminister*innen angekündigte Initiative Food and Agriculture for Sustainable Transformation (FAST): Ein Multi-Stakeholder-Programm, das nicht nur darauf abzielt, die Finanzierung für die Transformation der Landwirtschaft zu erhöhen, sondern auch zu Anpassungsbemühungen und der im Übereinkommen von Paris festgelegten Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 ° C beizutragen und gleichzeitig die Ernährungssicherheit zu fördern. Ein weiteres Beispiel ist die Initiative CompensACTION, die im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft ins Leben gerufen wurde. Ziel ist es, innovative Zahlungsmechanismen voranzutreiben, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern für ihre Ökosystemleistungen honorieren. Über einzelne Initiativen hinaus, hat die FAO zugesagt, bis zur COP28 einen Klimafahrplan für den Ernährungs- und Landwirtschaftssektor zu erstellen.
Zum ersten Mal konzentrierten sich bei einer COP allein fünf Pavillons auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Aber auch in anderen Pavillons und im offiziellen Rahmenprogramm der UNFCCC wurde das Thema diskutiert: Insgesamt fanden über 200 Veranstaltungen statt. Auch die GIZ hat ihr gemeinsam mit dem Forum for Agricultural Research in Africa (FARA) und der Universität Wageningen organisiertes offizielles Side Event auf das Thema „Klimaresiliente Agrar- und Ernährungssysteme in Zeiten multipler Krisen und Fragilität“ ausgerichtet. Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, wies in seiner Eröffnung darauf hin, dass das globale Ernährungssystem unter dem Gewicht von vier miteinander verbundenen Krisen zusammenbricht: Klimawandel, Krieg, ökologischer Stress und Pandemie. João Campari vom WWF International hob zudem hervor, dass der Krieg in der Ukraine und die Pandemie gezeigt haben, dass die globalen Lieferketten geschwächt sind, „und wenn sie brechen, dann auf Kosten der ärmsten Bevölkerungsgruppen". Um Ernährungs- und Wassersysteme klimaresilient zu gestalten, sind eine nachhaltige Finanzierung, ausreichende Datenlage sowie ein langfristiges Denken, notwendig, so Ingrid-Gabriela Hoven, Vorstandmitglied der GIZ. Die Finanzierung gilt als größter Engpass bei der Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme, wie auch Jyotsna Puri, stellvertretende Vizepräsidentin von IFAD, unterstrich. Schlüsseldimensionen für die Mobilisierung privatwirtschaftlicher Maßnahmen seien die Messbarkeit und Rechenschaftspflicht, der Ausbau der kleinbäuerlichen, widerstandsfähigen Landwirtschaft sowie die Risikominderung privater Investitionen.
Es ist gut, dass die Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation der globalen Agrar- und Ernährungssysteme, die spätestens seit dem UN Food Systems Summit von 2021 in aller Munde ist, auch in Sharm el-Sheik aufgegriffen und anerkannt wurde – denn dies ist auch der Hebel für eine klima-resiliente und emissionsarme Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Die Umsetzung dieses systemischen und holistischen Ansatzes bedeutet aber auch, dass nicht nur über angebotsseitige Lösungen zur Bekämpfung der Ernährungsunsicherheit nachgedacht werden darf. Auch die Nachfrageseite muss Gehör finden und politisch umstrittene, Fragen der Gewährleistung einer gesunden, nahrhaften und nachhaltigen Ernährung für alle müssen angegangen werden. Wenn die Maßnahmen nicht im gesamten Agrar- und Ernährungssystem ergriffen werden –also z.B. auch Lebensmittelverschwendung und -verluste, nachhaltige Lieferketten und gesunde Ernährung umfassen – werden die globalen Ernährungs- und Klimaherausforderungen nicht bewältigt werden können.