Ernährung und Landwirtschaft im Kontext unterschiedlicher Nachhaltigkeitsdimensionen
Landwirtschaft und Ernährung in der EU können einen wichtigen Beitrag zu Armuts- und Hungerbekampfung (SDG1 und SDG2), Klimaschutz (SDG13) und anderen Nachhaltigkeitszielen leisten. Die dafür erforderlichen Maßnahmen liegen auf dem Tisch. Damit gehen weitreichende Veränderungen für den Sektor einher, die – je nach Ausgestaltung – sowohl Synergien als auch Zielkonflikte für globale Ernährungssicherheit haben können.
Im Jahr 2050 wird die EU klimaneutral sein – so das zentrale Ziel, dass den europäischen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz und somit zu einer stabileren globalen Zukunft definiert. Stabilität ist ein zentraler Faktor für Ernährungssicherheit, denn Menschen sind weniger resilient, wenn sie in Armut leben. Sie können weniger auf kurzfristige ökonomische oder ökologische Veränderungen reagieren und sind im Fall von Krisen eher von Hunger bedroht. Wie fragil das System ist, hat sich in der Corona-Pandemie gezeigt. Millionen von Menschen gerieten in Armut und waren kurze Zeit später von hohen Nahrungsmittelpreisen betroffen, die aus dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine resultierten. Der Global Report on Food Crisis 2023 geht davon aus, dass vor allem aufgrund dieses Zusammenspiels in Kombination mit Wetterextremen viele Millionen Menschen zusätzlich von Hunger betroffen waren.
Inzwischen sind die Lebensmittelpreise laut FAO Food Price Index wieder gesunken und liegen im Mai 2023 mehr als 25 Prozent unter dem Preisniveau des vorherigen Jahres. Dennoch hat sich die Debatte in der EU und in Deutschland verändert: Die Zielkonflikte zwischen Biodiversitätsschutz, Klimaschutz, landwirtschaftlicher Produktivität und Ernährungssicherheit sind mehr in den Fokus gerückt. Das ist richtig, denn einerseits ist die Transformation der Landwirtschaft und der Ernährung zentral für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele auf deutscher, EU und internationaler Ebene:
Ohne weitreichende Veränderungen in Ernährung und Landwirtschaft wird die EU weder ihre Biodiversitätsziele noch das Ziel der Klimaneutralität erreichen.
Andererseits muss die Transformation von Landwirtschaft und Ernährung eine Systemperspektive einnehmen: Das deutsche und europäische Landwirtschafts- und Ernährungssystem ist direkt und indirekt in internationale Wertschöpfungsketten und die globale Landnutzung eingebunden. Veränderungen von Angebot und Nachfrage haben Auswirkungen auf internationale Preise, Wertschöpfungsketten, Landnutzungssysteme und somit auch auf Einkommen und Ernährungssicherheit in anderen Weltregionen.
Um diese internationale Dimension zu berücksichtigen, müssen Landwirtschaft und Ernährung in der EU zukünftig so gestaltet sein, dass sie einen substanziellen Beitrag zum Klima- und Biodiversitätsschutz liefern und gleichzeitig eine produktive Landwirtschaft erhalten bleibt. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Landwirtschaft im Rahmen der Transformation zu einer klimaneutralen Gesamtwirtschaft eine zentrale Rolle einnimmt: Jenseits der Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln können Land- und Forstwirtschaft zur Kohlenstoffbindung und -speicherung, etwa in Böden und Wäldern beitragen. Biomasse kann fossile Energieträger in der Industrie ersetzen und wird somit Teil der Transformation hin zur Klimaneutralität für die Sektoren Industrie und Energie. Mit der neuen Nachfrage gehen Chancen für den landwirtschaftlichen Sektor einher, gleichzeitig verschärfen sich jedoch auch Zielkonflikte, etwa mit anderen globalen Nachhaltigkeitszielen wie dem Menschenrecht auf Nahrung oder dem Schutz der Biodiversität. Ein wichtiger Baustein, um die unterschiedlichen Ziele möglichst gut miteinander zu verbinden, ist eine möglichst effiziente Nutzung von Land.
Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass die wichtigsten zwei Klimamaßnahmen – die nasse Moornutzung und die Reduktion des Konsums und der Produktion von tierischen Produkten – Biodiversitätsvorteile und effizientere Landnutzung vereinen können: Fast die Hälfte aller klimaschädlichen Emissionen aus Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Bodennutzung geht auf die Tierhaltung zurück. Ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz ist daher der in Deutschland seit Jahren diskutierte Umbau der Nutztierhaltung.
Relevant für den Klimaschutz sind die Veränderungen in der Tierhaltung aber nur, wenn sie Hand in Hand mit einer Verringerung des Konsums tierischer Produkte gehen: Eine Ernährung, die stärker durch pflanzliche und weniger durch tierische Produkte geprägt ist, hat eine positivere Klimabilanz.
Da in Deutschland etwa zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen für die Produktion von Futtermitteln genutzt werden, würde eine Reduktion der Tierbestände Flächen für andere Nutzung freigeben, etwa für die Produktion von Lebensmitteln, Biomasse oder auch den Schutz der Biodiversität.
Die zweite große Stellschraube für Klimaschutz in Deutschland und der EU ist die Wiedervernässung von Mooren.
Etwa sieben Prozent der gesamten deutschen Treibhausgase (zirka 40 Prozent der Emissionen aus Landwirtschaft und landwirtschaftlichen Bodennutzung) werden durch trockengelegte, landwirtschaftlich genutzte Moorböden emittiert. Noch vor wenigen Generationen war die Trockenlegung der Moore ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag zur Ernährungssicherheit. Da die daraus resultierenden negativen Klimawirkungen mittlerweile wissenschaftlich belegt sind, muss die Wiedervernässung der Böden heute gleichfalls eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Auf nassen Mooren können zwar keine Nahrungsmittel produziert werden, aber sie können Biomasse in Form von Paludikulturen liefern und somit zum Beispiel klimafreundliche Dämmstoffe für die Bauwirtschaft bereitstellen.
Allein diese beiden Maßnahmen würden nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU zu einer deutlich klimafreundlicheren Landwirtschaft und Ernährung führen, sich positiv auf die Biodiversität auswirken und den Nutzungsdruck auf landwirtschaftliche Flächen verringern. Da die Nachfrage nach Land und Biomasse für unterschiedliche Nutzungsansprüche steigen wird, ist es wichtig, derartige Synergien mitzudenken – mit allen dazugehörigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Chancen aber auch Herausforderungen.
Politisch gilt es heute auf der Ebene der EU und in Deutschland, die richtigen Weichen zu stellen für eine Landwirtschaft und Ernährung, die sich an gesellschaftlichen Zielen orientiert und entlang der unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdimensionen ausrichtet. Grundvoraussetzung ist es, sinnvolle Anreize zu setzen: Biomasse sollte nur in wenigen Ausnahmen zur Energiegewinnung genutzt werden. Solaranlagen und Windräder sind die effizienteren Energielieferanten – auch für den Verkehrssektor. Zu einer nachhaltigen Landnutzung gehört auch ein deutlich geringerer Konsum von tierischen Produkten in Industrieländern. Es ist im Sinne der Nachhaltigkeit, Ernährungsumgebungen so zu gestalten, dass es Konsumentinnen und Konsumenten leichter fällt, sich pflanzlicher und gesünder zu ernähren. Last but not least geht es darum, Biodiversitätsschutz so zu gestalten, dass die Produktivität auf den landwirtschaftlichen Flächen erhalten bleibt. Mehr Vielfalt in der Landschaft, zum Beispiel durch Blühstreifen und Hecken aber auch Fruchtartenvielfalt gehört dazu, eine deutliche Reduktion von Pestiziden und mineralischem Dünger auch. Ein grundsätzlicher Verzicht auf diese Produkte in der gesamten Landwirtschaft ist allerdings nicht wünschenswert.