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Auf der Grünen Woche besuchen Schulklassen im Stundentakt das Areal von BMZ, Brot für die Welt und Misereor. Dort rücken die globalen Herausforderungen durch die Ernährungssysteme ganz nah heran. Ein Spaziergang – von Journalist Jan Rübel.
Mit einem Mal sind sie da. Gerade noch hatten Helferinnen eine Kakaoschote durchschnitten und auf dem Tisch drapiert. Sie hatten die Sitzkuben geradegerückt und ihre Blicke etwas versonnen die halbleeren Gänge hinabgeschickt, in denen alles noch aufgebaut wird, Essen in Kesseln erst kocht, an diesem Morgen der Internationalen Grünen Woche (IGW) – doch mit einem Rumms füllt sich der Stand: Die erste Schulklasse ist da. „Mädels, ein Ei!“, ruft eine Zehnjährige. Eine vierte Klasse der Berliner Grundschule am Brandenburger Tor verteilt sich zwischen den Angeboten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Hilfsorganisationen Brot für die Welt und Misereor. „Ein Ei?“, fragt die hinzugelaufene Freundin. „Schau doch – hier“, sagt die Erste. Beide stehen vor einem Holztisch, darauf ein handgroßes weißes Pappschild mit dem Aufdruck eines braunen Landeis. „Wie viel virtuelles Wasser versteckt sich hinter diesen Produkten?“, liest das eine Mädchen vor. „Hm. Ein Ei braucht ein Huhn“, sagt das andere, „und das trinkt sicher viel“.
Willkommen in einem Erlebnisparcours der Entwicklungspolitik: Auf der Grünen Woche besuchen die Schüler*innen ein Areal, wo keine Schlemmereien ausgestellt sind, sondern Fragen. Woher kommt unser Essen? Und welche Folgen hat unser Konsum? Während an den anderen Ständen an diesem Morgen noch Leerlauf herrscht, das Warten auf den großen Andrang des Publikumsverkehrs, ist das Dreieck zwischen BMZ und den NGO’s ein Hort des Trubels. Die Kinder bestimmen den Takt. Und der ist schnell.
Die beiden Mädchen und noch zwei weitere herbeigesprungene stecken die Köpfe zusammen. Wie viel Wasser braucht man am Ende für einen Blumenstrauss und eine Tasse Kaffee? Für eine Tafel Schokolade, eine Tomate und ein Stück Fleisch? Rechts von den weißen Pappschildern liegen orangefarbene – mit Literangaben. „Das ist’n Steak“, sagt die eine Schülerin. „Verbraucht sicher viel.“ Am Ende legen sie die Schilder von drei Produkten auf die richtige Stelle – und irren sich bei anderen dreien.
Am Ende umringen alle Viertklässler*innen zwei Tische in der Mitte, dort greifen sie aus einem Sack Stempel, verzieren mit ihnen Taschen und Zettel; auf letztere haben sie Ideen für eine faire Zukunft geschrieben. Auf einem steht: „Wir reißen keine Pflanzen aus der Erde.“
Immer wieder liest man: „Die Bäuer*innen sollen mehr Geld bekommen! Ich wünsche mir mehr Gerechtigkeit.“
Das Miteinander der Klasse zieht an. Ein Lieferant mit einer Kiste voller Besteck bleibt stehen, blickt interessiert. Und dann sind da immer wieder Senior*innen, kommen näher, lächeln über die jungen Kinder still.
Nur die Schüler einer elften Klasse schauen etwas missmutig auf das Treiben – und dass die Kleinen ihnen endlich das Feld überlassen. „Ist das nicht was für Kinder?“, fragt ein Teenager seine Lehrerin. „Die haben was für alle Altersgruppen“, antwortet sie. Haben sie. Noch schauen die Jugendlichen in die Luft, als nähmen sie den Stand nicht wahr. Einer grummelt: „Das ist mir alles zu früh.“ Doch als sich die ersten fünf vom Oberstufenzentrum aus Königs Wusterhausen vor die geöffnete Kakaofrucht setzen und die Bohnen probieren, ist das Interesse da. „Bitter“, sagt ein Mädchen. „Mir schmeckt’s eigentlich“, sagt ein anderes. Und ein Junge: „Hat was. Wird noch geröstet, oder?“ Dass die Bohnen aber vorher in Bananenblätter gewickelt fermentieren, wusste er nicht, spitzt nun die Ohren, immerhin macht er gerade eine Ausbildung zum Koch.
Nachhaltigkeit, Lieferketten und fairer Handel gelten als sperrige Begriffe, doch wie alles lassen sie sich herunterbrechen. Noch den Wasseraufwand für Fleisch im Kopf, rennen die Kids zur nächsten Station. Stefan Gransow nimmt ein Glas mit Körnern und schüttelt es vor ihnen. „Das ist Hirse“, sagt der Bildungsreferent von Misereor. „Man sagt auch, das sei eine Sache für faule Bäuerinnen und Bauern – wohin man es wirft, wächst was.“ Eben anders als beim Fleisch. „Und Hirse ist ein Superfood“, setzt Gransow fort. „Was bedeutet das?“ Die Kinder grübeln. „Es macht stark und satt“, schlägt eines vor. „Wenn man Hunger hat, hat man schlechte Laune“, ergänzt das andere. „Und gut in der Schule ist man dann auch nicht.“ Die vier fachsimpeln nun mit Gransow über Reis, der Wind und Überschwemmung besser übersteht als andere Saat, und über die Kosten von Fleisch. „Wenn man das isst, nimmt man irgendwo etwas weg“, sagt Grensow. „Also besser nicht jeden Tag.“ Im Hintergrund beobachten die Lehrerin und die Erzieherin das Geschehen. „Das ist mal echtes Lernen an einem anderen Ort“, bilanziert Irina B. Und ihre Kollegin Sabine K. aus dem Hort: „Auch gut, dass die Kinder vieles anfassen können und nicht nur zuhören müssen.“ Das letzte Mal sei sie mit Schulkindern vor sieben Jahren auf einer Grünen Woche gewesen, sagt Irina B., „aber da war es nur voll und chaotisch – nicht wie hier“. Ein paar Meter weiter runzeln er und die anderen die Stirn.
„40 Millionen Menschen leben vom Kakaoanbau“, erzählt ihnen Referentin Janna Vogel. „Im monatlichen Schnitt verdient eine Familie damit 172 Dollar.“
Da ist die Gruppe still. „Gemeinsam mit den Kakaobäuer:innen versuchen wir mit unseren Projekten die Produktivität und die Qualität zu steigern“, macht Vogel weiter. „Aber es braucht halt höhere Preise.“ Als die Elftklässler*innen zum Abschluss in die Mitte gehen, meint der angehende Koch: „Dass die für so wenig ackern…“ Nein, von Entwicklungsarbeit und NGO’s habe er noch nicht gehört. „Man sollte bei Produkten drauf achten, dass sie fair sind. Das tue ich auch schon.“ Bei der Ideensammlung am Schluss zu dem, „was hilft“, sprudelt es aus einer Jugendlichen. „Vielleicht, dass in mehr Gegenden Kakao angebaut wird, dann ist man nicht mehr so abhängig. Oder mehr spenden. Oder mehr Bildung, um auf diese Ungerechtigkeiten hinzuweisen!“
Am Rand packt Gransow seine Sachen, er muss schnell los, zu einem Termin. „Grundschüler*innen sind meist neugieriger, die wollen auch ihr Wissen zeigen“, sagt er. Und wenn die Neugierde bei Älteren nicht da sei, „läuft es über Sympathie“. Er sortiert die Gläser mit Samensorten. „Wir holen die Leute ab, wo sie sind.“ Gransow, 48, schaut ernst. Wenn er vor Jugendlichen stehe, sagt er, denke er oft: Eigentlich seid ihr ja schon weiter als meine Generation, „persönliche Bildung hin oder her“. Vieles sei normaler, wie etwa vegetarisches Essen. „Wir sind bei all den Infos mit unserer Bildungsarbeit nur ein kleines Rad im System.“ Er stockt. Natürlich gehe ihm alles zu langsam, beim Weg der Gesellschaft gen Nachhaltigkeit. „Aber manchmal wecken wir ja Interesse, und im besten Fall bewirken wir ein Handeln.“ Das sei doch was. Gransow nimmt seine Tasche und läuft los.