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Was ist erforderlich, um einen echten Paradigmenwechsel in der Ernährungswirtschaft herbeizuführen? Warum sind kurz- und langfristige Antworten wichtig, um aktuelle und zukünftige globale Krisen zu bewältigen? Sebastian Lesch, kürzlich ernannter Leiter der Abteilung Landwirtschaft beim Bundesentwicklungsministerium (BMZ), gibt im Gespräch mit der Global Donor Platform for Rural Development (GDPRD) Antworten auf diese und weitere Fragen und erklärt, wie sehr Deutschland es begrüßt, wenn alle Geber an einem Strang ziehen und gemeinsam handeln.
Sekretariat der GDPRD: Mit der COVID-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine konzentriert sich die Entwicklungsgemeinschaft zunehmend auf Notsituationen und kurzfristige Hilfe. Wie können wir als Geber dafür sorgen, dass wir den längerfristigen Blick nicht aus den Augen verlieren? Wie können wir weiter daran arbeiten, die Widerstandsfähigkeit der Landbevölkerung zu stärken, damit sie künftige Krisen besser abfedern kann, und gleichzeitig sicherstellen, dass Notfälle besser bewältigt werden?
Sebastian Lesch: Wir befinden uns in einer Ernährungskrise, die durch den russischen Krieg gegen die Ukraine noch verschärft wird, in einer Klima- und Biodiversitätskrise sowie in Konflikten in vielen Teilen der Welt, welche die Ernährungssicherheit und die Ernährung beeinflussen. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere langfristige Arbeit zur Umgestaltung der Systeme der Agrarnahrungsmittel fortsetzen und beschleunigen. Dabei geht es darum, Menschen und Märkte widerstandsfähiger zu machen, die Einkünfte der Landbevölkerung zu verbessern und ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
Gleichzeitig müssen wir die unmittelbaren Folgen der Krise bewältigen. Das sind natürlich widersprüchliche Ziele. Man könnte die unmittelbare Krise bewältigen, aber die Situation langfristig verschlimmern und damit künftige Krisen verschärfen. Wir haben gesehen, wie diese Krisen der Lebensmittelsysteme alle paar Jahre kommen und gehen. Wenn überhaupt, sind sie schlimmer geworden. Es ist leichter gesagt als getan, wenn es darum geht, individuelle Entscheidungen zu treffen, wie beispielsweise dafür zu sorgen, dass Menschen nicht verhungern, die lokale Produktion nachhaltig zu steigern und sicherzustellen, dass Düngemittel dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden, damit es eine nächste Ernte geben wird. Wir benötigen auch Alternativen zu fossilen Düngemitteln, um die Abhängigkeit von Importen zu durchbrechen. Das ist sehr knifflig. Man muss das Thema in Einzelaspekte zerlegen, aber gleichzeitig die richtigen Wege einschlagen und aufzeigen, wie man es in Zukunft anders machen kann. Das macht die Aufgabe nicht leichter.
Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Sichtweise der Geber auf die Ernährungssysteme – insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung der Entwicklungshilfe – ändern? Alle sagen, „wir benötigen einen Paradigmenwechsel“, aber was bedeutet das Ihrer Meinung nach konkret und was muss getan werden, um dies zu erreichen?
Lebensmittelsysteme sind mehrdimensional und dienen verschiedenen Zwecken wie beispielsweise der Einkommens- und Nahrungsmittelbeschaffung sowie der Erhaltung der Artenvielfalt. Sie müssen sowohl dem Klimawandel vorbeugen als auch sich an ihn anpassen.
Der Paradigmenwechsel besteht darin, Lebensmittelsysteme nicht mehr als ein System zu sehen, das Lebensmittel produziert, sondern als Teil der Ziele für nachhaltige Entwicklung. SDG 2 ist nicht unabhängig von den anderen und wir brauchen diese ganzheitliche Sichtweise.
Mit der UNFCCC COP 27 in Ägypten befassen wir uns zum ersten Mal mit der Verknüpfung von Ernährungssystemen, Landwirtschaft und Klima. Auf der UNCCD-COP in Abidjan haben wir Resilienz, Böden und Land mit Nahrungsmittelsystemen verbunden. Wir brauchen dieses siloübergreifende Nexus-Denken, um diesen Wandel zu bewirken.
Seit langem wird geklagt, dass wir mehr Finanzmittel für die Landwirtschaft benötigen, aber wenn man sich das gesamte Agrarsystem ansieht, gibt es reichlich Finanzmittel einschließlich Subventionen für verschiedene Dinge in der Landwirtschaft und im Ernährungssystem. Die Länder einschließlich der Europäischen Union und der Entwicklungsländer, welche diese Subventionen gewähren, müssen Mittel und Wege finden, um Anreize innerhalb der landwirtschaftlichen Lebensmittelsysteme zu setzen, die Nachhaltigkeit zu verbessern und dieses Nexus-Denken zu schaffen.
Das Lebensmittelsystem trägt nicht nur zum Klimawandel bei, sondern ist auch ein Opfer desselben. Wir müssen uns von dieser Sichtweise lösen und sicherstellen, dass die landwirtschaftlichen Lebensmittelsysteme zur Anpassung und Abschwächung des Klimawandels beitragen.
Deutschland hatte 2022 den G7-Vorsitz inne und war federführend bei der Initiative Globale Allianz für Ernährungssicherheit (GAFS). Andere Geber und Organisationen haben ähnliche Programme ins Leben gerufen. Wie können wir sicherstellen, dass wir unsere Maßnahmen im Zusammenhang mit den verschiedenen Initiativen zur Krisenbewältigung koordinieren und beschleunigen sowie innerhalb der Gebergemeinschaft zusammenarbeiten?
Als der russische Krieg gegen die Ukraine ausbrach, blickten alle nach Berlin, um eine Reaktion der G7 in Bezug auf die Ernährungssicherheit zu erhalten. Das hat uns veranlasst, die GAFS, ins Leben zu rufen, die weder eine Institution noch ein Mechanismus ist. Die Idee bestand darin, eine Plattform zu schaffen, die sicherstellt, dass alle an Bord sind und dass wir schnell reagieren können. Diese Krise hat gerade erst begonnen und wir bereiten uns nach wie vor auf das Schlimmste vor. Ich freue mich, dass so viele Partner wie beispielsweise die USA, Italien und Frankreich ergänzende Initiativen ergriffen haben.
Ich bin froh, dass die Institutionen in Rom aktiv geworden sind, und ich bin besonders dankbar, dies gemeinsam mit der Weltbank zu tun. Dies war eine enorme Hilfe und die Weltbank ist mit ihrer Fähigkeit, wichtige Akteure zusammenzubringen, und ihrer Finanzkraft ein großartiger Partner der GAFS. Das Dashboard, das wir auf den Weg gebracht haben, ist ein gutes Beispiel für einen ersten Schritt in Richtung Erfolg. Aber ich möchte ganz klar betonen, dass es sich hier nicht um einen Wettbewerb handelt. Es ist großartig, dass es viele Initiativen gibt, und ich denke, wir erreichen ein gutes Maß an Komplementarität.
Wie stellen Sie sich unsere weitere gute Zusammenarbeit im Rahmen der Geberplattform vor? Was wird die Dynamik aufrechterhalten und dafür sorgen, dass die Plattform für die Mitglieder in den kommenden Monaten und Jahren nützlich ist?
Dies ist eine großartige Plattform mit Kontakten und einem einzigartigen, ganzheitlichen Format. Die Plattform ist kein Ort, an dem Landwirte miteinander reden, sondern ein Ort, an dem es um die Widerstandsfähigkeit des ländlichen Raums, den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel, natürliche Ressourcen, biologische Vielfalt, Einkommen und Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten sowie die Digitalisierung geht. Es ist hilfreich, über diese Themen in einem offenen, inklusiven, aber auch geschützten Umfeld zu sprechen, das Raum für Diskussionen ohne Entscheidungen bietet. Ich bin froh, dass wir die Plattform haben, um genau das zu tun.
Wir nähern uns dem Ende des Jahres 2022, was gibt Ihnen Hoffnung für das neue Jahr?
Aus europäischer Sicht ist der Krieg zurückgekehrt und die Menschen haben Angst vor Dingen, die sie sich noch vor kurzem nicht vorstellen konnten. Dies ist für viele Menschen eine schreckliche Krise, die mit schrecklichen Verlusten verbunden ist.
Aber die Krise bringt auch Chancen mit sich und das Gefühl, dass nicht nur ein Wandel, sondern ein beschleunigter Wandel erforderlich ist, um systemische Hindernisse bei der Umgestaltung des Lebensmittelsystems zu überwinden.
Wenn wir uns diese Geschwindigkeit und Dynamik zunutze machen können, dann hat diese Situation doch auch etwas Gutes. Ich habe in diesem Jahr so viele Menschen gesehen, die aufgestanden sind, sich an den Tisch gesetzt haben, gehandelt haben und gesagt haben, dass wir diese Silos überwinden müssen. Das macht mir Mut, dass wir nicht verloren sind und in diesem sowie im nächsten Jahr etwas bewirken können.
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