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Biobaumwolle finden viele gut – aber dennoch wird es Bäuerinnen und Bauern schwergemacht, ihren konventionellen Anbau zu ändern. Ein neues Projekt setzt an diesem Dilemma an: Fußballbundesligisten in Deutschland fördern die Umstellung auf Bio-Baumwolle in Indien. Und schaffen damit ein Exempel.
Viele Hände, so sagt ein altes Sprichwort, bringen schnelles Ende. Genau dies ging einer Gruppe von Männern aus Deutschland durch den Kopf, als sie vor drei Jahren Indien bereisten. Es gab ein Problem: Sie besuchten eine Textilfabrik, welche mit nachhaltiger Baumwolle arbeitet. „Es gibt häufig Engpässe bei zertifizierter Biobaumwolle“, sagt Mathias Diestelmann. „Immer wieder begeben wir uns auf dem Markt auf der Suche danach“, so der Geschäftsführer von „Brands Fashion“, Europas Marktführer für nachhaltige Arbeitskleidung. Mit dabei auf der Reise waren die Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Vertreter eines Fußball-Bundesligisten, dessen Vereinsfanshop verkauft Produkte aus biozertifizierter indischer Baumwolle. Und ihm kam eine Idee:
„Wenn es einen Topf an Biobaumwolle gibt, dessen Inhalt nicht ausreicht“, sagte er, „müssen wir eben selbst den Topf größer machen.“
Geboren waren die ersten Gedanken zum Projekt „Vom Feld in den Fanshop“. Gefördert durch das Bundesentwicklungsministerium, setzte man sich gemeinsam ans Werk. Fünf Klubs sollten dabei sein, um die kritische Masse zu erreichen. Die GIZ warb dafür auf Veranstaltungen, und heute haben sich neun Fußballvereine aus Bundesliga und Zweiter Bundesliga gemeinsam mit „Brands Fashion“ und der GIZ zusammengetan, sorgen für Topfvergrößerung:
450 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stellen ihren Anbau um, und zwar von konventioneller hin zu zertifizierter Bio-Baumwolle. Ihre Produkte, so der Deal, werden vom Projekt garantiert abgenommen.
„Wir wollten einen Anfang machen“, sagt Diestelmann. Eigentlich bietet der Anbau von Biobaumwolle den Bäuerinnen und Bauern viele Vorteile: Ihre erzielten Verkaufspreise sind höher und stabiler; von den Umwelteffekten ganz zu schweigen. Es gibt indes einen Haken: Erst nach drei bis vier Jahren der Umstellung gibt der Ackerboden ausreichende und wirklich zertifizierbare Biobaumwolle her, eine Umstellung geschieht nicht über Nacht. In der Zwischenzeit haben also Anbauer*innen in Vorleistung zu gehen, sie müssen mit geringeren Erträgen leben können. Denn entweder fordert der Markt möglichst billige konventionelle Baumwolle oder eben bio-zertifizierte. Beides erfüllt die so genannte Konversionsbaumwolle, Baumwolle in Umstellung auf bio, nicht. Die meiste Baumwolle wird aber von einkommensschwachen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern angebaut. Den Konversionsschritt scheuen sie. Oder wenn sie ihn gehen, brechen 50 Prozent ihn nach einem Jahr wieder ab, da sie es ohne Unterstützung nicht schaffen. In der Folge macht zertifizierte Biobaumwolle nur etwa ein Prozent der weltweiten Baumwollproduktion aus.
„Es ist es eine Win-Win-Situation“, sagt Diestelmann. Die Anbauregion Gujarat liegt im Nordwesten Indiens. „Konventionelle Baumwollpflanzung verbraucht viel mehr Frischwasser als ökologische, und auch der Einsatz der Pestizide vergiftet das Grundwasser.“ Und: Wasser wird in der Gegend immer knapper. Flüsse würden austrocknen, der Klimawandel zeige sich in der Region durch Dürre und durch sintflutartige Niederschläge, „schon jetzt gibt es viele Ernteausfälle. Da muss man was tun.“
Der Weg der 450 im Projekt geförderten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern bedeutet auf lange Sicht:
Weg von niedrigen Erträgen und hohen Anbaukosten, weg von der Schädigung der Ressourcen und hin zu langfristigen, direkten Geschäftsbeziehungen; dies in einer Region, die von Armut gekennzeichnet ist.
„Wenn wir da für ein T-Shirt den Wasserbrauch halbieren “, sagt Jens Bräunig, Direktor B2C beim VfB Stuttgart, „ist das schon ein richtiger Schritt“. Schließlich, fügt er hinzu, gehöre die Textilindustrie zu denen mit den größten Umweltherausforderungen.
Die Fußballvereine statten mit den Konversionsprodukten ihre Fanshops aus, sie zahlen also für sie Preise, als wären sie schon Bio. „Wir sind bereits bei 90 Prozent unserer Baumwollwaren auf nachhaltig umgestellt“, sagt Bräunig. Und sein Kollege Gordon Knebel, Leiter für Merchandising und Warenlogistik beim 1. FC Union Berlin: „Wir erweitern damit im Rahmen unserer Möglichkeiten den Rohstoffpool an zertifizierter Baumwolle. Und wir tun das auf möglichst faire Art und Weise“
Man habe ja schon im Fußball die Möglichkeit, die Menschen anders zu erreichen, für Themen, die weit entfernt seien, zu sensibilisieren.
„Ich war schon überrascht“, berichtet Knebel über seine erste Reise in die Gujarat-Region. „Es gibt dort viel zu tun, denn es ist eine sehr arme Region und das sieht man vor Ort auch deutlich.“ Die berechtigte Hoffnung bei diesem Projekt schwingt mit, dass es einen Leuchtturmcharakter entwickelt. „Wir schaffen damit den Beleg, dass eine Umstellung gelingt“, sagt Diestelmann. „Wenn es heute mit 450 Bäuerinnen und Bauern geht, schafft es morgen vielleicht ein größerer Player mit 1500 oder 2000 Farmern.“ „Brands Fashion“ begleitet den gesamten Prozess – von Designentwicklung über Anbau und Produktion bis Distribution. Die Palette reicht von Shirts und Sweatshirts hin zu Babybodys und anderen Produkten.
„Die Lieferkette ist komplett transparent. Über ein Tracking Tool kann sie der Kunde für jedes Stück mit Hilfe eines QR-Codes genau nachvollziehen.“
Doch mit der garantierten Abnahme ist es bei diesem Projekt nicht getan. Die Vereine initiieren auch ein Sportprogramm, bei dem Life-Skills vermittelt werden. „In Kooperation mit einer indischen NGO wird dabei auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, rund um Umweltschutz aufgeklärt und als zentraler Baustein mehr als 700 Kindern der Zugang zu Schule, Sport, Wasser und Mittagessen ermöglicht“, sagt Bräunig. „Den Fokus legen wir auf Mädchen und junge Frauen, denn da ist der Bedarf besonders groß“, ergänzt Knebel, „Auf dem Platz sind wir alle gleich. Da gibt es keine Geschlechterrollen. Wir ermutigen die Mädchen und jungen Frauen, ihre Stimme zu erheben und - im übertragenen Sinne - den Ball zu fordern.“
Warum engagieren sich die Klubs? „Wir haben eine Vorbildrolle“, sagt Bräunig. „hier sind wir gefordert, in allen Bereichen vorausschauend und verantwortlich zu arbeiten, zu planen und dann auch einzukaufen.“ Sie hätten im Verein damit die Überzeugung, das Richtige zu tun. „Damit verkaufen wir sehr wahrscheinlich kein einziges Shirt mehr. Aber nehmen unsere gesellschaftliche Verantwortung bewusst an und wollen möglichste viele Fans mit auf die Reise zu mehr Nachhaltigkeit nehmen.“ Und Knebel: „Uns geht es nicht darum, anderen damit etwas zu beweisen. Auch nicht um Sympathiewerte. Wir schauen einfach genauer auf das, was wir selbst unseren Fans verkaufen wollen und möchten, dass möglichst viele daran Beteiligte sich gut und fair behandelt fühlen.“
Die Bäuerinnen und Bauern werden bei der Umstellung eng begleitet. Sie erhalten ökologisches Saatgut und bekommen Trainings in nachhaltigen Anbaupraktiken.
„Auf einer Reise habe ich einen alten Bauern getroffen“, erinnert sich Diestelmann, „der sagte mir: ‚Bis in die Sechziger Jahre haben wir alles so angebaut‘ – er meinte das, was man heute ökologisch nennt“. Dann kam der Einsatz von Chemikalien, in der Hoffnung, damit die Erträge zu steigern. Doch diese trog. Zwar beruht moderner Bio-Anbau in der Tat auf einigen traditionellen Praktiken. Jedoch haben sich in den letzten 60 Jahren die Rahmenbedingungen der Landwirtschaft drastisch verändert. Damals musste beispielsweise nicht so viel produziert werden wie heute.
Die Schulungen unterstützen die Produzent*innen nicht nur darin, sich den aktuellen Bio-Standards anzupassen, sondern auch nachgewiesene wissenschaftliche Erkenntnisse in Anbaupraktiken, Produktivität und Umwelteinflüsse zu nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Ein Anruf bei Shailesh Patel, es ist bei ihm in Kutch, Gujarat, 11:30 Uhr. Heute ist ein Bürotag, diesmal ist er nicht mit seinem Team um fünf in der Früh losgezogen, zu den Bäuerinnen und Bauern auf den Feldern; die Tageshitze diktiert die Arbeitszeit. „Sechs Leute sind gerade unterwegs, es ist Erntezeit“, sagt er, „ich habe heute viel Papierkram zu erledigen und bleibe deshalb hier“. Patel, 49, ist Baumwoll-Projektmanager der Kooperative Rapar & Dhrangadhra – jenes Zusammenschlusses, mit dem die Fanshop-Initiative zusammenarbeitet. „Es sieht bisher gut aus“, bilanziert er mit Blick auf die Ausbeute dieser Saison. „Wir haben die Zeichen erkannt und uns seit 2015 stabiler aufgestellt.“ Die Ausgangslage: Ein Klimawandel, der längst auf den Feldern angekommen ist. „Die Landwirtschaft hier ist regenbasiert. Bei zu wenig oder auch mal zu viel Niederschlag leiden die Früchte und mit ihnen die Menschen.“ Zur Risikominimierung haben sich die Produzent*innen zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen – nun stehen sie direkt in Kontakt mit Partnern, verhandeln selbst Verträge mit Aufkäufern. Und sie passen sich dem Klimawandel an: „Wir verwenden unser eigenes Saatgut. Das ist nicht nur viel billiger, sondern beansprucht auch weniger Wasser und laugt den Boden weniger aus.“ Die Konversionsbaumwolle entwickle sich gut und die „Erwartungen zur Ernte sind beinahe erfüllt“ – und für die finanziellen Einbußen werden die Bäuerinnen und Bauern im Projekt kompensiert. „Langfristig ist unsere Perspektive besser als die von anderen Bäuerinnen und Bauern“, sagt er. „Wir steigern die Einnahmen durch qualifizierteren Ertrag und reduzieren unsere Kosten.“ Dann legt er auf, es gibt noch viel zu planen: Die nächste Saison beginnt Ende Juni. Das Projekt läuft.