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Aquatische Nahrungsmittelsysteme haben in der Agrarforschung lange ein Schattendasein geführt. Mit der Verleihung des Welternährungspreises an die Aquaforscherin Shakuntala Thilsted im vergangenen Jahr könnte sich dies jedoch nun ändern. Ein Interview über die Vorteile einer aquatischen Ernährung für arme und gefährdete Menschen, die Rolle fortschrittlicher Regierungen und einfache Lösungen mit großer Wirkung auf dem Weg zur sozialen Selbstbestimmung.
Redigiert für Textlänge und Ausdruck ist dieses Interview zuerst in der Rural21 Ausgabe Vol. 56 Nr. 1/2022 zum Thema „Die Schnittstelle zwischen Land und Meer“ erschienen und ist Teil einer Medienkooperation zwischen Rural21 und weltohnehunger.org.
Frau Thilsted, im Oktober letzten Jahres wurde Ihnen der Welternährungspreis 2021 verliehen, der oft auch als „Nobelpreis für Ernährung und Landwirtschaft“ bezeichnet wird. Hätten Sie jemals damit gerechnet, diese Auszeichnung zu erhalten?
Shakuntala Haraksingh Thilsted: Nein. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine solche Auszeichnung erhalten würde. Vor allem, weil der Schwerpunkt im Bereich Ernährung und Landwirtschaft traditionell immer noch weitgehend auf dem Anbau von Nutzpflanzen und der Viehzucht liegt, während aquatische Nahrungsmittel kaum eine Rolle spielen. Daher habe ich mich sehr über die Auszeichnung gefreut, denn sie rückt einen Bereich ins Rampenlicht, der in der weltweiten Berichterstattung nicht wahrgenommen wird und unterrepräsentiert ist.
Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Ihre Forschungsarbeit?
Nun ja, ich muss sagen, dass im letzten Jahr einige Dinge zusammengekommen sind. 2021 fand auch der UN-Gipfel für Nahrungsmittelsysteme statt, bei dem ich mich sehr engagiert für die Themen aquatische Nahrungsmittel und aquatische Nahrungsmittelsysteme einsetzen konnte. Auf dem Gipfeltreffen wurde viel über Böden und Nahrungsmittel gesprochen, aber kaum über Wasser. Aus diesem Grund bot es sich an, Wassersysteme und Nahrungsmittel aus dem Wasser, sowohl aus dem Meer als auch aus Binnengewässern, einzubeziehen. In Glasgow, Schottland, fand dann auch die COP26 statt, bei der es um die Verflechtung von Nahrungsmittelsystemen und dem Themenbereich Klima ging.
Heute sprechen Wissenschaftler zum Beispiel über den Wert von Algen, Weichtieren und niedertrophischen aquatischen Nahrungsmitteln, die gut für die Natur und die Umwelt sind. Gleichzeitig möchte ich aber auch den Aspekt einbringen, dass aquatische Nahrungsmittel Superfoods sind und einen hohen Nährwert haben, vor allem für die Armen und Schwachen. Es hat also eine ganze Reihe erfreulicher Annäherungen gegeben. Dennoch konzentrieren sich die Forschungsinvestitionen nach wie vor weitgehend auf den Anbau von Nutzpflanzen und weniger auf aquatische Nahrungsmittel.
Sie sind Mitverfasserin des Diskussionspapiers der UN-Ernährungsorganisation über die Rolle von aquatischen Nahrungsmitteln in einer nachhaltigen, gesunden Ernährung. Kurz gesagt, was ist das Besondere an aquatischen Nahrungsmitteln?
Zunächst einmal ist da ihre Vielfalt. Denn wenn wir über aquatische Nahrungsmittel sprechen, kennen die Menschen vor allem in Ländern mit hohem Einkommen zum Beispiel Lachs und Thunfisch. Geht man aber in ein Dorf in Bangladesch und bittet Kinder, Fischarten zu benennen, kommen in kürzester Zeit 50 Namen zusammen. Ich möchte bezweifeln, dass dies in einer dänischen Schule genauso wäre.
Und das ist nicht nur bei Fischen der Fall, sondern auch bei anderen Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen. Auch die Art und Weise, wie aquatische Nahrungsmittel vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verwendet werden, unterscheidet sich erheblich von der Art und Weise, wie die Menschen in reichen Ländern mit diesem Thema umgehen. Ganz zu schweigen von all den Nährstoffen, die diese Vielfalt mit sich bringt. Wir sprechen hier nicht nur von Eiweiß, sondern auch von Mineralien, Vitaminen und essenziellen Fettsäuren, sodass wir auch hier wiederum eine Vielzahl an Nährstoffen zu uns nehmen können, die sehr wichtig für unsere Gesundheit sind. Bei der COP26 steht ebenfalls das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt.
Aquatische Nahrungsmittel sind gut für uns Menschen und gut für unsere Umwelt.
Seit 1970 haben sich lediglich vier Prozent der Forschungsarbeiten zu Nahrungsmittelsystemen mit aquatischen Nahrungsmitteln befasst. Warum wurde die Bedeutung von aquatischen Nahrungsmitteln und Nahrungsmittelsystemen in der Forschung so lange übersehen?
Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt. Nehmen Sie nur das Milchpulver, das seit fünf Generationen für Ernährungsprogramme in Schulen verwendet wird. Selbst in reichen Ländern, in denen man das gar nicht braucht, steht Milch nach wie vor auf dem Plan von Ernährungsprogrammen in Schulen. Und sehen Sie sich dann den Nährwert von Fischpulvern an und wie Fischpulver zur Ernährung von Kindern in Afrika beitragen kann. Milch enthält Kalzium und Eiweiß, aber halt auch nicht viel mehr, während in Fischpulver Vitamin B12 zur Unterstützung der kognitiven Fähigkeiten enthalten ist. Dass aquatische Nahrungsmittel kaum beachtet werden, könnte mit dem starken Einfluss der Privatwirtschaft zu tun haben. Denken Sie zum Beispiel an die großen Unternehmen, die mit Getreide arbeiten, wo viele Interessen und viel Geld im Spiel sind.
Was hat Sie veranlasst, sich in Ihrer Forschungsarbeit auf dieses Thema zu konzentrieren?
Die meisten Menschen, die mit Nahrungsmitteln zu tun haben und in der Landwirtschaft tätig sind, gehen von der Erzeugerseite und den für die Erzeugung benötigten Zutaten aus. Aber ich fange beim Verbrauch an.
Ein Blick auf die Verbraucherdaten zeigt, welche Nahrungsmittel für die Ernährung der Menschen wichtig sind und welchen Wert sie für die Versorgung mit Nährstoffen haben. Letztendlich gibt es eine größere Vielfalt und ein breiteres Spektrum an Nahrungsmitteln. Leider sind wir in der Landwirtschaft zu Monokulturen übergegangen, und ich glaube, wir haben die Gefahr nicht erkannt, in die wir uns begeben haben, indem wir die Landwirtschaft und die Nahrungsmittel sehr eingeschränkt betrachtet haben. Die aufgrund von Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes entstehenden Kosten hängen allesamt mit der Art und Weise zusammen, wie wir Nahrungsmittel produzieren und zu uns nehmen. Wie sieht es aus, wenn wir noch andere wichtige Faktoren berücksichtigen, zum Beispiel die Auswirkungen einer angemessenen Ernährung auf die kognitive Leistungsfähigkeit? Anstatt darüber nachzudenken, dass Nahrungsmittel die Auslöser für Erkrankungen und Herzinfarkte sind, könnten wir auch sagen: Wir schauen uns an, was wir essen, und überlegen uns dann, wie wir die schulischen Leistungen positiv beeinflussen können. Der Unterschied wäre enorm!
Und was spricht für aquatische Nahrungsmittel?
Ich habe aufgehört, mich mit Reis und Gemüse zu beschäftigen, weil ich die große Wirkungskraft von aquatischen Nahrungsmitteln sehe. Mit all ihren Nährstoffen sind sie Superfoods. Ein weiterer Grund war, dass ich einen Großteil meiner Arbeit in Bangladesch erledigt habe, in einem Land, das in hohem Maße von aquatischer Ernährung abhängig ist. Das gilt aber auch für viele Länder in Afrika, wo getrockneter Fisch das Nahrungsmittel mit der höchsten Nährstoffdichte ist. Er wird auch von Bevölkerungsgruppen verzehrt, die sehr weit von der Küste entfernt leben und ihren Fisch aus Binnengewässern beziehen. Getrockneter Fisch lässt sich leicht und kostengünstig in andere Länder transportieren, da er nicht gekühlt werden muss. Die einzige Möglichkeit für Frauen, Fisch haltbar zu machen, ist das Trocknen in der Sonne. Hätten wir geeignete Systeme für die Solartrocknung entwickelt, gäbe es geeignete Verpackungen für diesen Fisch und wir könnten eine Menge Verluste und Abfälle bei diesem so wichtigen Nahrungsmittel vermeiden. Mehr als ein Drittel der weltweit erzeugten Nahrungsmittel wird weggeworfen und vernichtet. Sollten wir also unsere Investitionen in die Forschung nicht lieber dafür verwenden, weniger Abfälle zu produzieren, anstatt mehr davon herzustellen?
Welche Weiterentwicklungen sehen Sie in der Forschung im Bereich aquatischer Nahrungsmittel?
Ich merke, dass man jetzt mehr über Vielfalt spricht und nicht mehr nur über die Lachsproduktion aus Aquakultur, die den Reichen zugute kommt. Auch wie das mit dem Klima zusammenhängt, wird immer wichtiger. Und immer mehr Gruppen beschäftigen sich mit dem Nährwert verschiedener aquatischer Nahrungsmittel. Was sich ebenfalls ändern wird, ist die Tatsache, dass wir, wenn wir von Qualität sprechen, sowohl die Nährstoffqualität als auch die Lebensmittelsicherheit berücksichtigen sollten. Die Lebensmittelsicherheit ist ein Bereich, in dem es noch viel zu tun gibt.
Womit wir auch schon bei den Wissenslücken wären...
Aquatische Nahrungsmittel sind neu auf der Nahrungsmittelagenda, daher gibt es hier im Vergleich zu Grundnahrungsmitteln wie Reis oder Mais noch große Lücken. Und dies gilt für alle Bereiche. So sind beispielsweise viele Frauen in der Fangfischerei tätig.
Diese Frauen tauchen in den Daten nicht auf.
Große Datenlücken bestehen auch in Bezug darauf, welche aquatischen Nahrungsmittel verzehrt werden und von wem. Ebenso was den Nährstoffgehalt und die Zusammensetzung sowie den Aspekt der Lebensmittelsicherheit angeht. Wir wissen nichts über Mikroplastik in aquatischen Nahrungsmitteln. Auch sollte die Frage untersucht werden, inwieweit sich die Nahrungsmittel gegenseitig ergänzen. Inwiefern ist die Kombination von Nahrungsmitteln wertvoller als jedes einzelne Nahrungsmittel? Es gibt bestimmte Inhaltsstoffe, die den Wert anderer Nahrungsmittel erhöhen. Ein Bereich, mit dem sich bisher noch niemand befasst hat.
Hinzu kommt, dass sich die Forschung bisher vor allem auf den Geldwert konzentriert hat - was man produziert, wie viel man verkaufen kann, zu welchem Preis, welchen Geldwert man für die Exportländer erzielt ... Doch der Geldwert ist nur einer von vielen Werten. Wie würden Sie zum Beispiel nährstoffreiche Nahrungsmittel bewerten, die die schulischen Leistungen verbessern oder die gut für die Gesundheit von Frauen sind? Gesunde Frauen bekommen auch gesunde Kinder, und das wirkt sich wiederum positiv auf alle Generationen aus.
Unsere allgemeine Vorstellung von Wert als reinem Geldwert ist extrem kurzsichtig und engstirnig.
Sie waren auch stellvertretende Vorsitzende des „UN Food Systems Summit 2021 Action Track 4 - Advance Equitable Livelihoods‟ (Förderung gleichwertiger Lebensunterhalte): Inwieweit können aquatische Nahrungsmittel dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen?
Action Track 4 war der einzige der fünf Aktionspfade, der sich speziell mit Menschen befasste, und der Schwerpunkt lag dabei auf Frauen, Jugendlichen und indigenen Völkern. Sehen Sie sich doch nur einmal an, wie viele Frauen beispielsweise in Afrika im Bereich aquatischer Nahrungsmittel arbeiten. Fischfang wird überwiegend von Männern betrieben, aber die Verarbeitung – Trocknen, Verarbeitung von Fisch, Räuchern – wird vollständig von Frauen erledigt. Und viele indigene Völker sind Küstenbewohner, für die der Fischfang einen wichtigen Teil ihres Lebensunterhalts ausmacht. Vor allem für indigene Völker und Frauen spielen aquatische Nahrungsmittelsysteme also eine wichtige Rolle.
Haben Sie das Gefühl, dass sich mit dem Gipfel das weltweit vorherrschende Verständnis von Nahrungsmitteln und Ernährung verändert hat?
Was den Standpunkt der Gipfelteilnehmer*innen anbelangt, so trifft dies zu. Aber nun geht es darum, Lösungen zu finden. Dies ist umso wichtiger, da mit Covid-19 die Zahl der armen und unterernährten Menschen enorm gestiegen ist. Einige Lösungen liegen auf der Hand und wurden auch bereits mehrfach angesprochen, so beispielsweise die Ernährungsprogramme für Schulkinder. Wir müssen dafür sorgen, dass die Ernährungsprogramme für Schulkinder auch die Armen und Schwachen erreichen, und dass es hier nicht nur um Reis oder Mais geht, sondern auch um nährstoffreiche Nahrungsmittel und eine Vielfalt an Nahrungsmitteln...
...Damit Kinder gesund ernährt werden, gute schulische Leistungen erbringen und so zu einer Bereicherung für ihre Gemeinden und ihre Länder werden können.
Es wäre wunderbar, wenn wir die Ernährung in Schulen mit nährstoffreichen aquatischen Nahrungsmitteln kombinieren könnten und dies in Zukunft ein wichtiger Teil unserer Lösungen sein könnte.
Sehen Sie den politische Willen, um die notwendigen Veränderungen voranzutreiben?
Vieles hängt von Investitionen ab, und es wäre schön, wenn einige der reicheren Länder den armen Ländern beispielsweise mit Ernährungsprogrammen für Schulkinder oder bei der Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kinder helfen würden. Aber auch die Länder selbst müssen etwas tun. Ein Land wie Nigeria verdient beispielsweise sehr viel Geld mit Öl. Diese Ressourcen sollten so eingesetzt werden, dass sie den Menschen in ihrem Land zugute kommen. Was wir brauchen, ist also mehr Verantwortung und mehr Druck auf die Regierungen, damit sie mehr tun.
Spielt hierbei auch die Privatwirtschaft eine Rolle?
Eine sehr große sogar. Ich denke, wir hätten die Privatwirtschaft schneller dazu bringen können, mehr zu investieren und auch mehr zu tun. Ich bin jedoch auch der Meinung:
Wir Wissenschaftler waren nicht gut darin, der Privatwirtschaft die Vorteile zu verdeutlichen, die dies für die Menschheit und für den Planeten mit sich bringt.
Das ist wie eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche. Gäbe es ein Regelwerk, das festlegt, nach welchen Grundsätzen die Privatwirtschaft zu funktionieren hat, sowie entsprechende gesetzliche Vorgaben, könnten wir schneller zu Ergebnissen kommen.
Blicken wir nach Europa und welche Vorschriften und Regelungen es für den Straßenverkehr gibt. Vergleicht man das mit den Vorschriften, die wir für Nahrungsmittel haben, wie viel Salz verarbeitete Nahrungsmittel enthalten dürfen, wie viel Zucker man ins Essen geben darf ... Wie kann es sein, dass dies so anders ist? Hätten wir eine starke Gesetzgebung und eine gute Regierungsführung, würde man sich dieser Verantwortung stellen.
Ein weiteres Argument dafür, die Dinge voranzutreiben, ist, dass es viel einfacher ist, eine Maschine für die Ernte einzusetzen, wenn man nur zwei Reihen Mais anbaut, als wenn man ein Feld mit Bohnen, Mais und Gemüse hat. Das ist weitaus schwieriger. Vielfalt macht die Arbeit kompliziert. Hätten wir aber auf Vielfalt gesetzt und uns diese als Ziel vorgenommen, wären wir vielleicht in der Lage gewesen, bessere und kostengünstigere Lösungen zu finden.
Es bedurfte nicht erst eines Gipfels für Ernährungssysteme, um Sie zu einem Vordenker im Bereich der Ernährungssysteme zu machen – die Auswirkungen Ihrer Arbeit erstrecken sich schon seit langem über verschiedene Disziplinen und Bereiche und haben auch die Politik beeinflusst. Können Sie einige Beispiele nennen?
Odisha ist ein schönes Beispiel. Die Leute wussten von meiner Arbeit in Bangladesch und fragten mich, ob ich mit der Teich-Polykultur auch nach Odisha kommen würde, was ich schließlich auch tat. In nur drei Jahren konnten wir Teich-Polykulturen, Ernährungsprogramme für Schulkinder mit getrocknetem Fisch, Gesundheitsprogramme für Mütter und Kinder und Verpflegungsrationen für unterwegs mit getrocknetem Fisch einführen.
Frauenförderung durch Aquakultur, sozusagen...
Ja, so kann man das sagen. Aber es gibt noch viel mehr zu tun. Wenn wir etwas Positives im Hinblick auf die Lebensbedingungen, das Einkommen und die Ernährung von Frauen bewirken wollen, müssen Frauen auch im gesamten System vertreten sein: Dies gilt im politischen Bereich, bei der Ausarbeitung von Strategien und Maßnahmen, aber auch bei den Bewertungen, bei denen es darum geht, was gut und was schlecht gelaufen ist und wie etwas besser gemacht werden kann. Diesbezüglich klafft eine große Lücke in der Art und Weise, wie wir Entwicklung betreiben und wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen. Ein weiterer wichtiger Punkt:
Wir sollten in der Lage sein sollten, neue wissenschaftliche Erkenntnisse mit traditionellem Wissen zu kombinieren.
Mit den all den modernen Instrumenten, die uns heute zur Verfügung stehen – Daten, neue Technologien – sollte dies viel einfacher sein. Aber es ist bisher noch nicht passiert.
Warum?
Das Wissen ist eine Sache, die andere ist, wie man dieses Wissen nutzt. Um traditionelles Wissen zu nutzen, greifen wir auf unsere modernen Methoden zurück, wie wir es auch bei wissenschaftlichen Erkenntnissen tun. Traditionelles Wissen hingegen beruht beispielsweise auf Erzählungen. Allerdings bedienen wir uns bei den modernen Technologien nicht der Methode des Storytellings. Es ist uns also noch nicht gelungen, diese beiden Elemente miteinander zu verknüpfen.
Steht die Selbstbestimmung von Frauen in Afrika also vor größeren Herausforderungen als in Asien?
Dieser Kontinent ist voller Hoffnung, und in mancher Hinsicht sind die Frauen in Afrika auch viel freier als in Asien. Wenn es gelingt, die Werte und Traditionen Afrikas zu übernehmen und einige der sehr guten technologischen Innovationen aus Asien durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Südens zu skalieren, dann wird es in Afrika zu deutlichen Verbesserungen kommen. Man könnte das Teich-Polykultursystem, das wir in Asien praktizieren, auf Afrika übertragen. Insgesamt sind die Investitionen – auch die der Privatwirtschaft – in Asien schneller vorangekommen als in Afrika, vor allem im Bereich der Aquakultur. Aber denken Sie an die enormen Ressourcen, nehmen Sie nur die Binnengewässer, die Großen Seen in Afrika, wie viel Potenzial dort vorhanden ist.
Sie wurden auch für die Entwicklung innovativer Nahrungsmittelprodukte ausgezeichnet – mit dem Arrell Global Food Innovation Award 2021. Können Sie uns ein wenig darüber erzählen?
Womit ich angefangen habe und was man heute als Innovation bezeichnet, ist die Teich-Polykultur. Ich war die Erste, die sagte, dass wir bei der Aquakultur in Teichen nicht nur eine Fischart einsetzen sollten. Und es sollten nicht nur große Fischarten gezüchtet werden, sondern auch kleine einheimische Fische hinzukommen. Alle sagten: Oh nein, die kleinen Fische werden dem Wachstum der großen Fische schaden, und das Produktionssystem wird weniger rentabel sein. Doch ich entgegnete: Lasst es uns Ausprobieren!
Und wir haben festgestellt, dass die Polykultur von großen und kleinen Fischen zu einer größeren Menge, einer besseren Nährstoffqualität – weil die kleinen Fische alle Mikronährstoffe mitbringen – und zu einem widerstandsfähigeren System führt, weil man verschiedene Ebenen und Nischen im Teich nutzt. Und was ganz wichtig ist: Es werden keine Chemikalien verwendet, um den Teich zu reinigen. Das geht auch gar nicht, weil man jetzt die einheimischen Fischarten einsetzt. Es war also ein Gewinn für beide Seiten. Aber mir wurde auch klar:
Es ist eine Sache, die Fische im Teich zu haben, und eine andere, die Fische vom Teich in den Topf zu bringen.
So haben wir Möglichkeiten entwickelt, damit die Frauen beim Fischfang nicht von den Männern abhängig sind. So ist es beispielsweise möglich, ihnen ein Fischernetz zur Verfügung zu stellen, das sie mit einem Flaschenzug bedienen können. Auf diese Weise können sie kleine Mengen Fisch holen, ihn mit in die Küche nehmen und als Teil einer Mahlzeit zubereiten.
Sie haben auch Produkte wie Fischpulver und Fisch-Chutney erfunden. Welche Idee steckt dahinter?
Wenn man in ländlichen Gebieten arbeitet, wird viel über die Selbstbestimmung und das Engagement von Frauen gesprochen, aber die Arbeitsbelastung der Frauen wird dabei außer Acht gelassen. Mit nährstoffreichen und verzehrfertigen Produkten können Sie den Zeitaufwand für die Frauen verringern und ihnen gleichzeitig eine zuverlässige Quelle bieten, die ihnen nährstoffreiche Nahrungsmittel sichert. Wenn Sie ein Chutney mit hohem Nährwert zubereiten, können Sie es als Beilage zu einer Hauptmahlzeit verwenden. Oder Sie bereiten einen Brei für Ihr Kind vor und fügen einen Esslöffel Fischpulver hinzu, dann haben Sie eine Mahlzeit, die sehr nährstoffreich ist.
Wie werden diese Produkte akzeptiert?
Zunächst einmal müssen Sie versuchen, den Geschmack und das Aroma der Gemeinschaft zu treffen, mit der Sie zu tun haben. Sobald das geklärt ist, müssen Sie jedoch bedenken, dass alle Eltern und Großeltern wollen, dass ihre Kinder gesund und intelligent sind. Somit besteht also bereits jetzt ein hohes Maß an Akzeptanz. Wenn es gelingt, den Menschen das Wissen so zu vermitteln, dass sie es verstehen, und ihnen die Bedeutung für die Gesundheit und die kognitive Entwicklung des Kindes vor Augen zu führen, dann hat man schon einen großen Schritt getan.
Es ist nicht so schwierig, wie die Leute denken.
Es ist nur so, dass sie sich nicht die Zeit und Mühe nehmen, um die Vorteile deutlich zu machen.
Zu den schwierigsten Aufgaben in der Forschung gehört es, die Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen und dafür zu sorgen, dass sie publik gemacht werden. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Die Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften. Lösungen zu finden, die zu den Gemeinschaften passen und wie sie sich die dort lebenden Menschen einbringen können, und schließlich auch dafür zu sorgen, dass diese Lösungen erfolgreich umgesetzt werden.
Und was die Verbreitung angeht: Vor vielen Jahren habe ich in Nepal im Terai Teich-Polykulturen angelegt. Die meisten Menschen denken bei Nepal nur an ein Gebirgsland, aber 60 Prozent der Bevölkerung leben im Terai, der gleichen agroökologischen Zone wie dies auch in Bangladesch der Fall ist. Ich habe Frauen aus dem Terai nach Bangladesch mitgenommen, damit sie etwas über Teich-Polykulturen lernen können. Und das ist bis heute so geblieben.
Mit Ihrer globalen Führungsrolle im Bereich Ernährung und öffentliche Gesundheit bei WorldFish haben Sie die Forschungs- und Innovationsstrategie 2030 für WorldFish mitgestaltet. Was sind die wichtigsten Bestandteile dieser Strategie?
WorldFish ist eine seit 40 Jahren bestehende Institution, und wie bei vielen landwirtschaftlichen Institutionen innerhalb der CGIAR lag der Schwerpunkt auf Produktionssystemen, auf Aquakultur mit vielleicht einer Fischart – Tilapia – und auf der kleinen Fangfischerei. Aber wie kommt man von einer Organisation, die sich auf Produktionssysteme konzentriert, zu einer Organisation, die sich vorrangig mit Nahrungsmittelsystemen befasst und als Einstiegsmöglichkeit verschiedene aquatische Nahrungsmittel anbietet? Der Weg zu einer solchen Strategie war deshalb mühsam, weil das Verständnis dafür in der Organisation nicht vorhanden war und in vielen Organisationen auch nach wie vor nicht vorhanden ist. Und dann kommen die neuen Aspekte hinzu, die ich bereits erwähnt habe, nämlich dass der vielleicht wichtigste Aspekt die Verringerung von Verlusten und Abfällen ist und nicht so sehr die Produktion. Woher kommen die Wissenschaftler und jungen Forscher, die in diesem Bereich arbeiten? Bislang hat sich hiermit noch niemand beschäftigt.
Der Schwerpunkt lag auf den Wachstumsraten und auf der Effizienz der Fischproduktion. Und auf Versorgungsketten, die städtische Märkte mit einem hohen Geldwert einbeziehen.
Jetzt sprechen wir über Versorgungsketten, die den Bedarf der Armen und Schwachen an nährstoffreichen Nahrungsmitteln decken.
Aquatische Nahrungsmittel als Einstieg, aber auch als Teil einer abwechslungsreichen, nährstoffreichen Ernährungsweise zu nutzen, ist auch deshalb sehr schwierig, weil die Menschen in der Landwirtschaft gelernt haben, nur mit jeweils einem Nahrungsmittel zu arbeiten. Wir sind also mit dieser neuen Strategie noch lange nicht am Ziel, und jetzt müssen wir sehen, wie wir die Strategie umsetzen können und vor allem, wie wir die Mittel für diese Strategie bekommen.
Es liegt also noch ein sehr langer Weg vor uns. Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit einer 40 Jahre alten Tradition brechen. Im vergangenen Jahr feierte die CGIAR ihr 50-jähriges Bestehen. Und mit der Grünen Revolution wurde viel erreicht. Aber das entspricht nicht dem Stand von heute.
Was macht Ihre Arbeit so spannend, worüber freuen Sie sich am meisten?
Für mich gibt es zwei Dinge: Die Arbeit mit den Gemeinschaften und die Veränderungen, die ich sehe - vor allem, durch die Anerkennung der positiven Effekte meines Engagement für Frauen und Kinder. Zum anderen ist es das Mentoring für junge Fachkräfte und zu sehen, wie andere die Arbeit, die ich leiste, weiterentwickeln. Es tut so ungemein gut, wenn man sieht, dass das, was man getan hat, weitergeht und wächst.
Und was frustriert Sie am meisten?
Es ist ziemlich frustrierend, dass wir die nötigen Mittel nicht auftreiben können. Und selbst wenn man eine Finanzierung erhält, ist es immer noch frustrierend und schwierig, weil die bereitgestellten Mittel gering sind und nur für einen kurzen Zeitraum reichen.
Wenn Sie einen Artikel über aquatische Nahrungsmittel verfassen würden, welches wäre das wichtigste Stichwort?
Vielfalt. Das ist erstaunlich. Wir alle wünschen uns Vielfalt – wir möchten nicht jeden Tag das Gleiche essen, wir möchten nicht jeden Tag das Gleiche anziehen –, aber in vielen unserer Entwicklungsprogramme suchen wir die Vielfalt vergeblich. Für mich ist Vielfalt das fundamentale Prinzip, das wir alle nutzen müssen.