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Am UNFSS Pre-Summit in Rom beteiligte sich “Brot für die Welt“ nicht. Stattdessen nahm das Hilfswerk an einem Gegengipfel teil. Ein Gespräch mit Francisco Marí über die Gründe, den Ablauf – und wie es nun weitergeht.
Herr Marí, Ihre Organisation hat sich am Gegengipfel zum UNFSS Pre-Summit beteiligt. Sind Sie mit dem Ausgang Ihrer Veranstaltung zufrieden?
Die Situation war ja nicht einfach. Wir haben uns sehr schwer damit getan, einer Initiative des Generalsekretärs der Vereinten Nationen mit einem Alternativgipfel zu begegnen – immerhin unterstützen wir nicht nur grundsätzlich die UN, sondern sind ja auch Teil ihres zivilgesellschaftlichen Prozesses. Wir haben über unser kirchliches Netzwerk eine Repräsentanz in New York und sind seit Jahrzehnten in der ernährungspolitischen Debatte sehr nah bei den meisten Positionen der Vereinten Nationen. Die Entscheidung für diesen Gipfel zu Ernährungssystemen und die Art und Weise, wie dieser Gipfel dann geplant und vorbereitet wurde, haben wir sehr bedauert.
Hatten Sie lange überlegt, ob Sie nicht doch daran teilnehmen?
Wir hatten einen langen Dialog darüber, insbesondere auch mit dem BMZ, aber auch mit der Sonderbeauftragten Agnes Kalibata. Wir haben uns sehr bemüht, noch auf eine Einigung zu kommen. Doch unsere Einwände wurden einfach nicht gehört. Daher sind wir recht spät auf den Plan gekommen, unseren Standpunkten und denen unserer Partner durch eine Parallelveranstaltung eine Stimme zu verleihen: unsere Gegenvorschläge öffentlich zu machen. Damit bin ich sehr zufrieden, wundere mich auch, dass dies so schnell möglich war. Es gab auch eine große Anzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Vorschläge unterbreiteten. Da haben wir intensiv diskutiert; absolute Einigkeit herrschte dort natürlich auch nicht. Aber darum geht es uns auch nicht. Denn es gibt eine Vielfalt von Ernährungssystemen und Ansätzen, sie zu verbessern. Aber gemeinsam war uns beim Alternativgipfel, dass wir Entscheidungen auf Grundlage menschenrechtlicher Verpflichtungen treffen, gegenüber den Menschen, die Hunger leiden und den Rechten der Nahrungsproduzenten, wie sie 2018 von UN-Generalversammlung verabschiedet wurden.)
Worin waren sie sich zum Beispiel nicht einig?
Mit Blick auf den Ökolandbau gab es Stimmen, die sagten: Wir können jetzt nicht auf Zertifizierungen von Agrarökologie gehen – was andere forderten. Auch über Saatgut wurde viel debattiert: Also, wie stark eigenes, bäuerliches Saatgut ausreicht, um zum Beispiel mit Klimaveränderungen zurechtzukommen; wie viel Forschung es dazu braucht und inwiefern sie in staatlicher Hand bleiben soll,wie auch hier die bäuerlichen Rechte gestärkt werden können. Im Übrigen zeigt ein vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziertes Projekt der Welternährungsorganisation (FAO), wie vielsprechend solche Ansätze sein können. Als Brot für die Welt wünschten wir uns eine Ausweitung solcher Projekte.
Wie viele beteiligten sich denn am Gegengipfel?
Wir taten uns ein wenig schwer mit dem virtuellen Format. Denn zu den Sitzungen des Welternährungskomitee (CFS), dem Kernelement der Welternährungsarchitektur, reisen jährlich die auf FAO-Regionalkonferenzen gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft meist eine Woche vor den Sitzungen nach Rom, um sich gemeinsam vorzubereiten. Der direkte Kontakt und der Austausch sind für uns sehr wichtig. Das war diesmal nicht möglich, und dies machte es für indigene Gruppen und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern schwieriger, sich gut einzubringen. Diese virtuellen Formate, wie sie vom UNFSS forciert werden, waren auch ein wichtiger Punkt unserer Kritik, den UNFSS in dieser Zeit der Covid-19-Pandemie abzuhalten. Es ist für viele Partner nicht nur wegen der Zeitverschiebung technisch schwerer sich zu beteiligen: Internetverbindungen sind instabil und teuer. Aber angesichts dieser Herausforderungen waren wir sehr zufrieden, dass die einzelnen Veranstaltungen von 600 bis 1.500 Leuten besucht wurden. Insgesamt wurde der Live-Stream während der drei Tagen über 9.000 Mal besucht.
Was waren die Erkenntnisse, die Schlussfolgerungen des Gegengipfels?
Dass die Agrarindustrie nicht als Akteur auf gleicher Ebene wie die Betroffenen zu behandeln ist. Der Alternativgipfel machte sich stark für unterschiedlichste Lösungsansätze, aber eben rechte- und nicht interessenbasiert. Daher wurde immer wieder die Forderung erhoben, dass den Betroffenen eine Stimme und die Möglichkeit zur Mitverhandlung von Entscheidungen, wie im CFS, gegeben wird – um den Erhalt kleinbäuerlicher Produktion für die Zukunft zu garantieren.
Warum also blieben Sie dem Gipfel in Rom fern?
Es ging letztlich vom Ansatz her nicht.
Wir können eben nicht akzeptieren, dass Interessen von Unternehmen mit den Rechten jener Menschen gleichgesetzt werden, mit denen wir seit Jahren kämpfen, um Armut zu reduzieren. Die Abschaffung des Welthungers ist keine Idee, sondern ist eine Verpflichtung, die auf dem Recht auf Nahrung basiert.
Dem hat sich doch der Gipfel gewidmet.
Nein. Genau hier liegt der Dissens. Der Pre-Summit kam mir mehr vor wie eine Initiative, in der jeder seine Ideen einbringen kann, ohne das deutlich wird, wer Rechte und wer Pflichten hat. Hungernde können sich auf das Menschenrecht auf Nahrung berufen. Der Privatsektor demgegenüber hat die Pflicht, sich an Gesetze zu halten und Steuern zu zahlen, wie Jeffrey Sachs es klar beim Pre-Summit ausdrückte. Das spiegelte sich aber nicht im Pre-Summit wieder. Gleichzeitig hat gerade das CFS vorbildliche Strukturen etabliert, wie politische Entscheidungen, die zur Erfüllung des Rechts auf Nahrung beitragen, erarbeitet und verabschiedet werden können. Diese Strukturen hat der UNFSS von Anfang an nicht berücksichtigt.
Nach all der Kritik, die an den Prozessen und Strukturen des UNFSS seit 2019 vorgebracht wurde, habe ich den Eindruck, dass sie bewusst und gezielt missachtet wurde.
Das Recht auf Nahrung stand nie im Zentrum des UNFSS. Man lese nur die sehr kritischen diversen Stellungnahmen des UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Nahrung, Michael Fakhri.
War denn die Agrarindustrie in Rom derart präsent?
Bei den offiziellen Gipfelveranstaltungen war sie weniger direkt vertreten, hat aber in den Strukturen des UNFSS von der Sonderbeauftragten bis zum Scientific Board ihre Unterstützer an den zentralen Stellen verankert. Gleichzeitig aber dominierte sie die Side Events. Ich war erstaunt, wie wenige NGOs sich dort engagierten. Und dann sind natürlich Staaten aufgetreten, die sich stark mit dem Agrobusiness verbinden, wie zum Beispiel Argentinien und die USA.
Mein Eindruck war, gerade bei den entscheidenden Main Events, dass Wirtschaftsakteure klar in der Minderheit waren.
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) als Stichwortgeber für den Summit hat sich, als seine Ideen nicht mehr gebraucht wurden, zurückgezogen. Sie wurden ja übernommen. Und, wie gesagt, an vielen für den UNFSS entscheidenden Stellen sitzen Personen, die der Agenda des WEF sehr nahestehen, sowie andere Wirtschaftsverbände, allen voran der Weltwirtschaftsrat, das UN-Lobbyinstrument der weltgrößten Konzerne. Und die Kritik am Anteil der Agrarindustrie hatte auch zu Veränderungen geführt, gerade bei den Action Tracks des Summits. Einige indigene Gruppen und einige NGOs haben entschieden, dass sie daran teilnehmen – zumindest solche, die sich immer mehr oder weniger in diesem Konstrukt des Multistakeholder-Ansatzes bewegen. Und eine bestimmtes Spektrum aus der Wissenschaft beteiligte sich am Gipfel, das technokratische Angebote und auf neuer Gentechnik beruhenden Lösungen gemeinsam mit der Industrie entwickelt.
Agrarökologie war auch ein starkes Thema beim Gipfel.
Erst einmal haben wir uns darüber gefreut, dass Senegal die Agrarökologie-Koalition anführen will. Aber all diese Debatten hatten wir bereits sehr stark in der FAO und im Welternährungskomitee (CFS) unter Beteiligung der Produzentinnen und Produzenten. Also muss man grundsätzlich fragen: Ist diese Koalition nicht eine Doppelung oder Schwächung der seit einigen Jahren bestehenden „Scaling-up Agroecolgy Initiative“ der FAO? Wir appellieren schon lange an das BMZ, diese FAO-Initiative stärker zu unterstützen. Dafür brauchen wir keine neuen UNFSS-Koalitionen! Vielmehr hat der Prozess des UNFSS der Agrarökologie aktiv geschadet. So wurden erst vor einigen Wochen Politikempfehlungen des CFS zu Agrarökologie dem UNFSS untergeordnet. Die Verhandlungen dazu sollten unbedingt noch vor dem Pre-Summit beendet sein. Nun haben wir Politikempfehlungen zu Agrarökologie, die nicht mehr den Empfehlungen des Hohen Expertengremiums (HLPE) des CFS folgen, und werden daher von der Zivilgesellschaft nicht mitgetragen. Dies unter anderem, weil der Teil zu Pestiziden hinter bestehende UN-Vereinbarungen zurückfällt. Wem nützt diese Verwässerung? Natürlich vor allem der Agrarchemie!
Warum dann nicht zum Pre-Summit nach Rom und zum Summit nach New York gehen, um dort die Ansätze menschenrechtlicher Verbindlichkeit und Agrarökologie zu verfechten?
Weil das UNFSS-Konstrukt nicht inklusiv ist und noch nicht einmal klare Regeln und Strukturen zur Mitbestimmung hat. Man wird eingeladen, um mitzumachen – aber nicht wirklich. Ich kenne das von der Meerespolitik. Im Komitee für Fischerei der FAO gibt es keinen zivilgesellschaftlichen Mechanismus, wie beim CFS. Wir sitzen dann auf den Seitenbänken und dürfen am Ende, wenn alle geredet haben, auch noch etwas sagen. Eine ähnliche Struktur hatten wir bei der UN-Meereskonferenz 2017, zum Nachhaltigkeitsziel 14, und dort sind wir hingegangen, weil wir überhaupt kein anderes Forum haben, um irgendwo mit der handwerklichen Fischerei sichtbar zu sein. Aber der UNFSS fällt selbst dahinter zurück. Wurde auch nur in einer Veranstaltung irgendetwas verhandelt? Wurde auf ein gemeinsames Ergebnis hingearbeitet? Ich habe im ausführlichen Videoportal keines erlebt.
Es gab ein buntes Durcheinander von besorgten Reden und Vorstellungen von Ideen, von Lösungsansätzen – aber einen Prozess, diese zusammenzufügen, zu ordnen und die Zielkonflikte zu benennen, gab es nicht.
Im Ernährungsbereich haben wir lange dafür gekämpft, auch die Bundesregierung, dass es eine inklusive Weltstruktur für Ernährungsfragen gibt, basierend auf dem Recht auf Nahrung; die angelehnt, aber unabhängig von der FAO ist – also das schon erwähnte Welternährungskomitee (CFS). Der UNFSS schiebt dieses inklusive Gremium quasi völlig zur Seite. Erst auf massiven Druck wurde der CFS-Sekretär mit großer Verspätung und nur als einer von vielen ins Vorbereitungsgremium des UNFSS aufgenommen. Letztlich steht im UNFSS das CFS somit auch nur als ein Ansatz von vielen, statt dem Komitee den ihm zugehörenden exklusiven Platz als Hauptorgan der Welternährungsarchitektur mit seinem menschenrechtlichen Ansatz einzuräumen. Das CFS zu einer beliebigen Plattform herabzustufen, um das Nachhaltigkeitsziel „ „Null-Hunger“ zu erreichen, disqualifiziert den UNFSS.
Warum?
Der Zug zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele läuft schon. Es gibt gute Beschlüsse. Und es gibt in immer mehr Staaten die Bereitschaft, die Empfehlungen des Welternährungskomitees Wirklichkeit werden zu lassen. Und nun kommt ein Summit zu Food Systems dazwischen und will das Rad neu erfinden – in einem schon stattfindenden Prozess und das mit Lösungen, über die wir schon längst hinaus sind.
Aber es sind ja sehr viele Lösungen auf dem Pre-Summit diskutiert worden. So einfach ist die Sache mit der weltweiten Hungerbekämpfung möglicherweise nicht. Warum dann nicht alle Lösungsvorschläge verhandeln und zu diesen Koalitionen bündeln?
Noch einmal: Es gibt ja keine Beschlüsse. Von Beginn an wurde darauf verzichtet, anders als beim Welternährungskomitee, wo wir nächtelang darum ringen, wie Empfehlungen von Leitlinien aussehen sollen. Die sind zwar freiwillig, unterliegen aber einem Monitoring. Dadurch entsteht ein Druck, mit dem man arbeiten kann. Dieser Summit dagegen verzichtet darauf, und wie schon mehrfach geäußert: Der menschenrechtliche Ansatz als Kernprinzip ist das wichtigste Gut und für uns nicht wegverhandelbar. In den Koalitionen wird es Vereinbarungen darüber geben, wer was macht, von dem man hofft, dass es zielführend ist. Das ist eine Beliebigkeit, die sehr weit weg von dem ist, was man in den letzten zehn Jahren in Rom beim Komitee gemacht hat. Dort muss man sich entscheiden, während die Foren beim UNFSS Zielkonflikte verschweigen. Dadurch haben die Koalitionen größtes Pozential, sich untereinander zu widersprechen.
Mitentscheiden sollte die Ernährungsindustrie als gewaltiger Player auch. Eine Botschaft des Pre-Summits war: Die Ernährungskonzerne sind Teil des Problems. Aber sie müssen Teil der Lösung werden. Heißt das nicht, dass man auch mit ihnen nach Lösungen suchen muss?
Das ist absolut richtig. Es wäre schon viel, wie Jeffrey Sachs betonte, damit gewonnen, wenn die großen Agrarkonzerne die bestehenden Gesetze nicht umgehen würden und ihrer Steuerpflicht nachkämen. Wenn sie diese Regeln einhalten, kann man sich an einen Tisch setzen und miteinander reden. Genau dies tun wir auch seit zehn Jahren im CFS, auch mit Konzernen, von denen wir wissen, dass sie nicht immer die Regeln einhalten oder sich Regelbrecher wie Monsanto in den eigenen Konzern holen. Auch mit Bayer reden wir seit Jahren in Deutschland. Im CFS gibt es ja auch den privatwirtschaftlichen Mechanismus. Anfangs nahmen sie das kaum ernst, mittlerweile aber schon; da kommt es zu den nötigen Konflikten, die eben ausgefochten und ausgehandelt werden müssen.
Es geht halt darum, ob die berechtigten Gewinninteressen der Industrie mit den Rechten Betroffener gleichgesetzt sind. Das sollten die Staaten und die Kleinbäuerinnen und Bauern entscheiden.
Beim Summit aber sind alle Vorschläge gleich. Damit verkleistert man Zielkonflikte, und die Summe dieser freiwilligen Commitments soll dann die Lösung sein.
Vielleicht ist es so wie bei Aristoteles, nach dem das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
Wenn es um ein Produkt ginge. Also zum Beispiel um Speichen in einem Rad oder um eine Felge. Einzeln nützen sie nichts, in der Summe indes ergeben sie ein Fahrrad. Aber in diesem Fall kommen wir vielleicht zu Speichen, die für das Rad zu groß oder zu klein sind. Zielkonflikte müssen entschieden werden – und das kann nicht die Industrie übernehmen.
Sie befürchten also bei diesem Prozedere des Summit als Ergebnis ein Fahrrad, mit dem man nicht fahren kann?
Genau. Es geht nicht immer alles. Man kann zum Beispiel nicht kleinbäuerliche Produktion unterstützen, was der Summit ja übrigens sehr oft verlangte, und für die Agrarindustrie riesige Anbauflächen planen, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weggenommen würden.
Vielleicht muss beides realisiert werden? Die Landwirtschaft in Europa wäre nicht das geworden, was sie heute ist, wenn sie ihre historische Kleinteiligkeit nicht angegangen hätte.
Andersrum wird ein Schuh draus. Wir haben Millionen von Familienbetrieben verloren. Das heißt nicht, dass wir in Europa hungern, aber wir haben diese Einkommensquellen und die Nahrungsvielfalt verloren, die wir uns jetzt chemisch mit Zusätzen wie glutenfrei oder laktosefrei mühsam designen müssen. Das wollen wir nun verhindern, weil es auf der ganzen Welt nicht leistbar ist. Auch in Deutschland gibt es als Ergebnis der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ des BMEL mehr Konsens, und man hat sich darauf geeinigt, dass wir mehr landwirtschaftliche Familienbetriebe brauchen. Also, wenn ein Umdenken im Agrarland Deutschland eingesetzt hat, warum nicht auch global? Das geschieht eben auch, trotz all unserer Kritik in Rom im CFS.
Was ist dann Ihrer Meinung nach Sinn und Zweck des Summits zu den Ernährungssystemen? Dass das Welternährungskomitee entmachtet werden soll?
Ja, genau! Das Welternährungskomitee soll bestenfalls weiter gefügig gemacht werden, im Sinne von Agrobusiness und Agrarexportnationen zu entscheiden. Darüber hinaus wird massiv vom Wissenschaftsbeirat des UNFSS unter Leitung von Joachim von Braun darauf hingearbeitet, de facto das Wissenschaftspanel des CFS (HLPE) abzuschaffen oder zumindest finanziell auszutrocknen, indem für ein neues so genanntes Wissenschaftspanel des UNFSS Milliarden Dollar für industrienahe Forschung von ihm gefordert werden. Genauso wichtig ist es für Wissenschaft, Industrie und einige Staaten, das Mitspracherecht und den Einfluss zivilgesellschaftlicher Gruppen und von Kleinbäuerinnen auf Auswahl von Forschungsfragen, Methoden und Forschungsergebnisse zu reduzieren.
Der industrienahen Wissenschaft ist es ein Dorn im Auge, dass die wissenschaftlichen Empfehlungen des HLPE, wie zur Präferenz von Agrarökologie, nicht an denen vorbeigehen, die sie erreichen sollen und damit nur wenig zur Sicherung von Gewinnen der Agrarkonzerne beitragen.
Inzwischen decken 15 fundierte Berichte des HLPE mit Empfehlungen für Agrarprogramme der Staaten viele Bereiche von Fischerei, Tierhaltung bis Nahrungsempfehlungen ab, die lokale Märkte, Kleinproduzenten und eine reiche standortgebundene Nahrungsvielfalt favorisieren und damit auch zu nachhaltigen und krisenfesten Ernährungssystemen führen können, die Armut reduzieren und zu einer hungerfreien Welt beitragen. Denn es gibt weltweit eine Grundorientierung hin zur Agrarökologie. Als eine zentrale Grundlage hierfür dient hier der Weltagrarbericht von 2008, den damals mit Unterstützung von Weltbank und Vereinten Nationen 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beschlossen hatten. Das war für uns alle neu, auch für uns; wir waren damals noch eher auf dem Ökoanbau-Trip. Wir verstanden, dass dies zu eng ist, dass es keine ausreichende alternative Welternährung zur industriellen Landwirtschaft sein kann. Wir verstanden, dass es ein offenes System braucht, das standortbezogene Entscheidungen für eine nachhaltige Produktion trifft. Ein holistisches Prinzip, das über Landwirtschaft hinausgeht und Bildung sowie Soziales einbezieht.
Holismus war auf dem Summit ein oft gebrauchtes Wort. Bezieht das Ihrer Meinung nach auch den Einsatz von Dünger und Pestiziden auf synthetischer Basis in Afrika ein?
Agrarökologie bedeutet den Ausstieg oder den Nicht-Einstieg in die Anwendung von synthetischen Düngern und Pestiziden. Der Einsatz dieser Betriebsmittel ist mit Nachhaltigkeit und einem auf Biodiversität aufbauenden Holismus nicht zu vereinbaren und steht im Widerspruch zum auch vom BMZ geförderten One-Health-Ansatz. Mit Blick auf den Einsatz von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden haben wir mit zwei umfangreichen Studien innerhalb von zwei Jahren zur Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) deutlich aufgezeigt, dass dieser Ansatz zur Hungerbekämpfung gescheitert ist. Die prominente Rolle, die Funktionäre von AGRA im UNFSS spielen, ist damit eben auch Teil der Grundprobleme des UNFSS.
Nun soll der weitere Prozess, der vom Food Systems Summit ausgeht, ausschließlich von den Rome Agencies verwaltet werden. Da ist das CFS doch mit dabei, oder?
Das war bisher unsere Hoffnung. Aber je näher der Summit rückt, desto mehr versucht man, einen Follow-Up-Prozess als Konkurrenz zum CFS zu institutionalisieren. Das BMZ folgt offensichtlich den Anliegen des Vorsitzenden des Wissenschaftsrats und der Special Envoy und kündigt eine Unterstützung der Weiterarbeit dieses UNFSS-Sekretariats an. Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb das BMZ für eine eigene Spielwiese in New York in Kauf nimmt, dass das CFS mit seinem menschenrechtlichen Ansatz geschwächt wird in Konkurrenz zum BMEL, das Deutschland beim CFS vertritt. Das ist, vergleicht man das mit dem halbwegs inklusiven Vorgehen in den acht Jahren der SEWOH des BMZ, ein wirklicher Affront. Da nach dem Pre-Summit schon klar ist, dass dieses Sammelsurium von Vorschlägen keinen einzigen neuen Ansatz hervorbringt, ist diese vom BMZ unterstützte Fortsetzung enttäuschend und konterkariert die positiven Erfahrungen der letzten Jahre in der SEWOH. Die Annahme des Wissenschaftsbeirats des UNFSS, dass es in der Frage der Ernährungsproduktion wie bei Klimafragen noch irgendwelche blinde Flecken gibt, wo wir noch massenhaft wenig in die Zukunft hinein wissen und Projektionen brauchen, das ist Phantasie.
Hunger ist kein landwirtschaftliches Problem. Er ist auch kein Mengenproblem
Denn wir produzieren schon viel zu viel auf den ÄckernDas ist ja das Problem, derzeit für zehn bis elf Milliarden Menschen im Schnitt 4.000 Kalorien am Tag.
Aber nicht dort, wo sie sie brauchen. Und nicht das, was sie benötigen.
Genau. Es ist ein Armuts- und ein Verteilungsproblem.
Und dann ist es auch ein landwirtschaftliches Problem.
Nein. Wenn Sie zum Beispiel in der Stadt leben, sagen wir Lagos, wo viele Menschen trotz voller Supermärkte hungern – dann gibt es genügend Nahrung, nur sie bleibt für zu viele unbezahlbar. Wenn ein Kleinbauer keine Transportmöglichkeiten hat und die Hälfte der Ernte verdirbt, dann ist dies kein Produktionsproblem, sondern ein Transportproblem. Dazu kommen Tierfutter, Agrartreibstoffe und Bioplastik, die großflächig industriell angebaut mehr einbringen als Lebensmittel für Menschen. So geht ein immer weiter zunehmender Anteil der Welternte nicht in die menschliche Ernährung, sondern in Tiermägen, Tanks oder in die Produktion von Verpackungsmaterial für Convenience Food. Um diese Probleme zu benennen und zu regulieren, braucht es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern endlich Umsetzung und einen Verzicht auf offensichtlich schädliches Verhalten. Aber auf Regulierung verzichtet der Summit, indem er alles freiwillig macht.
Wie wird es weitergehen? In New York beim Summit werden Sie sich nicht beteiligen?
Das ist ziemlich sicher. Bisher ist auch nicht klar, welche Ergebnisse der Vorgipfel überhaupt gehabt hat. Wie die Empfehlungen der Action Tracks in New York einfließen, ist nicht ersichtlich. Wir rufen nicht explizit zum Boykott auf. Aber je weniger herauskommt, desto weniger schädlichen Einfluss wird es nehmen.
Uns ist wichtig, dass das Welternährungskomitee nicht ein Player unter vielen wird, sondern in seiner Rolle gestärkt wird.
Wir hoffen, dass das BMZ doch noch davon absieht dieses Trauerspiel namens UNFSS auch noch fortzusetzen. Und dann sind noch Bundestagswahlen, neue Leitungen in beiden Ministerien. Wir werden uns dafür einsetzen, dass das Vorhaben auch im Bundestag und bei Koalitionsverhandlungen und in einer neuen Bundesregierung hinterfragt und beendet wird. Wir sind zuversichtlich, da auch sich auch in dieser Legislaturperiode alle Fraktionen für eine agrarökologische Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit ausgesprochen haben. Dahinter kann das BMZ nicht mehr zurück.
Könnte das Welternährungskomitee nicht auch durch den Summit gestärkt werden?
Zunächst einmal sollten irgendwelche Beschlüsse, die aus dem Summit hervorgehen, nicht für das CFS bindend sein, welches ja drei Wochen später tagt – mit teilweise den gleichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Klar, vieles, was beim Summit behandelt wurde, könnten wir begrüßen und unterschreiben, zum Beispiel die Themen rund um die Bedeutung von handwerklicher Fischerei für die Welternährung. Wenn dies als Fragestellungen in die Arbeit des Komitees einfließt, kann es dadurch gestärkt werden: Weil man sieht, dass es vieles gibt, worum sich das CFS auf Grund seiner Schwäche und Unterfinanzierung nicht angemessen kümmert – gerade, was den wissenschaftlichen Beirat angeht. Da erhoffe ich mir einen Schub! Denn bisher wird ein Ausbau des Welternährungskomitees von Staaten verhindert. Vielleicht wird erkannt, dass die Struktur, die man schaffen will, schon existiert. Auch in Deutschland.