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Adrian Muller, Catherine Pfeifer und Jürn Sanders
Biodiversität in die Produktion aufzunehmen oder ertragsärmere, extensivere Produktionssysteme aufzugeben, ist der falsche Ansatz zur Bewältigung der drohenden globalen Nahrungsmittelkrise, meinen die Autor*innen des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL).
Dieses Interview erschien zuerst in Rural21 Vol. 56 No. 2/2022 zu Healthy Soil, Healthy People, Healthy Planet und ist Teil einer Medienkooperation zwischen Rural21 und weltohnehunger.org.
Der Krieg gegen die Ukraine hat die Debatten über Ernährungssicherheit, Landnutzung und Erträge auf eine neue Ebene gebracht. Plötzlich scheint einigen jedes Mittel recht zu sein, um die Produktion zu steigern, die Produktionsrückgänge in der Ukraine und die unsicheren Exporte von dort und aus Russland auszugleichen. Die europäischen Ziele für die biologische Vielfalt sowie die Farm-to-Fork-Strategie mit ihren Zielsetzungen von 25 Prozent ökologischer Landwirtschaft, 20 Prozent weniger Düngereinsatz und einer Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 sollen auf Eis gelegt werden. Die ökologische Landwirtschaft wird von einigen als problematisch bezeichnet, da sie mit ihren geringeren Erträgen zu einer Zunahme des Hungers in der Welt beitragen würde. Dieser Produktionsschwerpunkt ist nicht neu. Ertragssteigerungen zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die potenzielle Gefahr des Hungers durch extensive Produktionssysteme sind immer wieder diskutiert worden. Ebenso wird behauptet, dass hohe Erträge die Umwelt verbessern, während extensive Systeme mit geringeren Erträgen und höherem Landbedarf zu Netto-Umweltverlusten führen würden. Im Folgenden werden diese Fragen erörtert, einige Ergebnisse aus der jüngsten Forschung zusammengefasst und die Frage gestellt, ob eine solche Konzentration auf die Erträge zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen beiträgt oder ob sie nicht eher die Symptome statt der Ursachen bekämpft.
Was sind Ernteerträge?
Die Ernteerträge sind ein zentraler Indikator für Landwirte. Höhere Erträge führen in der Regel zu höheren Einnahmen und zur Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Sie sind jedoch kein Maßstab für die Ernährungssicherheit, die wesentlich komplexere Konzepte erfordert. Neben der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln umfasst die Ernährungssicherheit auch den Zugang zu Nahrungsmitteln, deren Verwendung und Nutzung sowie deren Stabilität im Laufe der Zeit.
Die Produktion und die Erträge einzelner Kulturpflanzen sind aus der Perspektive der Nahrungsverfügbarkeit nicht einmal von primärer Bedeutung.
Relevant ist vielmehr die Menge an Nährstoffen – das heißt Eiweiß, Fett, Mikronährstoffe und Kalorien – die eine bestimmte Fläche liefert.
Weizen, der als Tierfutter produziert wird, trägt anders zur Ernährungssicherheit bei als Weizen, der direkt als Nahrungsmittel verzehrt wird. Mais, der verloren geht, verschwendet oder für Biokraftstoff verwendet wird, trägt nicht zur Nahrungsmittelverfügbarkeit bei. Für eine angemessene Beurteilung des Beitrags zur Nahrungsmittelverfügbarkeit ist eine zeitliche Aggregation erforderlich, um die gesamte Nahrungsmittelproduktion aus komplexen Fruchtfolgen zu erfassen. Die pflanzliche und die tierische Erzeugung müssen zusammen betrachtet werden, um den Futtermittelverbrauch einiger Fruchtfolgeelemente zu berücksichtigen. Eine räumliche Aggregation ist erforderlich, um die gesamte Nahrungsmittelproduktion eines Gebiets zu erfassen, in dem Tiere weiden und in dem Nahrungs- und Futtermittel produziert werden.
Weniger Land nutzen und mehr aus bestehenden Ackerflächen herausholen
Die Vernachlässigung dieser komplexen Zusammenhänge behindert ein Denken, das über Erträge und Intensivierung hinausgeht. Einige Wissenschaftler*innen argumentieren, dass der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa in dem Maße, wie er in den USA praktiziert wird, die Treibhausgasemissionen der europäischen Landwirtschaft um 7,5 Prozent reduzieren könnte. Ein wesentlicher Grund dafür sind die angenommenen Ertragssteigerungen bei Mais. Dabei wird jedoch übersehen, dass in fast allen europäischen Ländern weit mehr als 50 Prozent, in vielen sogar mehr als 80 Prozent, dieses Maises als Viehfutter verwendet werden, was noch mehr Treibhausgase erzeugt und weniger zur Ernährungssicherheit beiträgt als die direkte Nahrungsmittelproduktion auf Ackerflächen.
Hohe Erträge kommen auch nicht von irgendwoher. Für den Anbau von Kulturpflanzen werden Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Wasser und andere Inputs benötigt. In intensiven Systemen stammen diese meist aus externen Quellen. Argumente für eine hohe Produktion aus Gründen der Ernährungssicherheit sind daher nur dann stichhaltig, wenn diese Betriebsmittel verfügbar sind. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist dies von besonderer Bedeutung, da Russland sowohl ein zentraler Exporteur von Mineraldünger als auch von fossiler Energie ist.
Darüber hinaus beruhen hohe Erträge nicht nur auf der Verfügbarkeit externer Inputs, sondern auch auf vielen Ökosystemleistungen, die wiederum durch intensive Produktionssysteme bedroht sind.
Das heißt nicht, dass Ertragssteigerungen und Effizienz nicht eine Rolle spielen sollten. Aber die Ressourcennutzung könnte oft effizienter gestaltet werden. In vielen High-Input-Systemen wird beispielsweise zu viel gedüngt und eine gewisse Reduzierung wäre oft ohne Ertragseinbußen möglich. Produktionsfaktoren wie die Böden könnten verbessert werden, um höhere Erträge bei gleichem Einsatz und ohne größere Umweltauswirkungen zu erzielen. Hinzu kommt der Fall, dass der Einsatz von Betriebsmitteln nicht aufgrund expliziter Managemententscheidungen für eine extensive Produktion, wie dem ökologischen Landbau gering ist. Oft sind es die finanziellen Mittel, die fehlen, um mehr Betriebsmittel zu kaufen, jedoch ohne andere Managementaspekte an diese Situation anzupassen.
Vorschläge zur Ertragssteigerung zielen in der Regel auf eine Änderung der Produktionssysteme an bestimmten Standorten ab. Eine ergänzende Strategie konzentriert sich auf die Veränderung der Standorte der gegebenen Produktionssysteme durch die Optimierung des Anbaus auf der Grundlage der Klima- und Bodeneigenschaften, um die maximal erreichbaren Erträge zu erzielen. Dies birgt ein hohes Verbesserungspotenzial. Modellstudien zeigen, dass mit dieser Strategie die Nutzung von Anbauflächen um 20 bis 30 Prozent und die landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen um 30 bis 50 Prozent gesenkt werden könnten. Dies ist vielversprechend, erfordert aber Flexibilität bei dem unflexibelsten Produktionsmittel, nämlich den Anbauflächen mit ihren festen Standorten. Die Wahl von Produktionssystemen an bestimmten Standorten zur Maximierung der Erträge passt besser in die derzeitige wirtschaftliche und institutionelle Organisation der Landwirtschaft als die Wahl des Standorts für ein bestimmtes Produktionssystem. Für die Landwirte ist der Standort aufgrund von Eigentumsrechten in der Regel nicht flexibel, die Wahl der Produktionssysteme und des Managements hingegen schon. Dennoch ist es wichtig, das Verbesserungspotenzial einer solchen Umverteilung der Anbauflächen zu kennen. In Anbetracht der in der Regel großen finanziellen und institutionellen Beteiligung der Regierungen an der Landwirtschaft könnte die Schaffung von Anreizen für solche Verbesserungen eingehender untersucht werden.
Raum für eine weniger intensive Produktion schaffen
Effizienzsteigerungen und Produktionsumstellungen bringen nicht die nötige Vielfalt, die wir gewinnen, wenn wir ein breiteres Verständnis von Erträgen annehmen, wie es oben dargestellt wurde, und uns auf den Nährwert und nicht auf den einzelnen Ernteertrag konzentrieren.. So kommen Veränderungen im Konsum ins Spiel. Lebensmittel, die nicht gegessen werden, weil sie in der Wertschöpfungskette verloren gehen oder verschwendet werden, hätten idealerweise nie produziert werden dürfen. Zweitens können durch eine Verringerung der Futtermittelproduktion, z. B. von Futtermais, der in vielen Industrieländern eine der wichtigsten Kulturen ist, oder von Gerste, Mais und anderen Getreidesorten, die zu einem großen Teil als Futtermittel verwendet werden, große Anbauflächen für die direkte Lebensmittelproduktion frei werden - wenn Verbraucher*innen mit hohem Konsum von tierischen Lebensmitteln bereit sind, weniger von diesen Produkten zu verbrauchen. Eine solche Verringerung könnte auch zu gesundheitlichen Vorteilen für viele dieser Verbraucher*innen führen.
Modellgestützte Bewertungen solcher und ähnlicher Szenarien zeigen, dass die Optimierung gesunder Ernährung im Hinblick auf minimale Umweltauswirkungen oder sogar die Beschaffung von Nahrungsprotein aus neuartigen alternativen Quellen anstelle der klassischen Viehzucht und des Ackerbaus die Nutzung von Anbauflächen um 80 bis 90 Prozent reduzieren könnte, ohne die Versorgung mit Nährstoffen zu beeinträchtigen. Um sich gegen einen möglichen Produktionsrückgang in der Ukraine abzusichern, bietet die Begrenzung der für Nahrungs- und Futtermittel genutzten Anbauflächen und die Verwendung der erzeugten Rohstoffe ein größeres und nachhaltigeres Potenzial für die Ernährungssicherheit als die Verkleinerung von Biodiversitätsschwerpunktgebieten oder die Aufgabe ertragsschwacher, extensiverer Produktionssysteme.
Diese Verlagerung des Verbrauchs und die entsprechende Verlagerung der Anbauflächen führen zu einer Verkleinerung des Ernährungssystems in Bezug auf Material-, Nährstoff- und Energieinput und -output. Dadurch verringert sich der Druck auf die Landwirtschaft, hohe Erträge zu erzielen, um ein bestimmtes Ernährungsziel zu erreichen. Zudem entsteht Raum für eine extensivere Produktion mit weniger Input und geringeren Erträgen. Extensive Systeme haben in der Regel geringere Umweltauswirkungen auf territorialer Ebene und sind mit der Bereitstellung zahlreicher Ökosystemleistungen verbunden. Dies schließt diejenigen Systeme ein, die die landwirtschaftliche Produktion und damit die Ernährungssicherheit langfristig unterstützen, wie Bestäubung, gesunde und fruchtbare Böden oder Wasserversorgung.
Es liegt auf der Hand, dass derartige Verbrauchsänderungen, wie die Verlagerung der Anbauflächen, eine tiefgreifende Umgestaltung des Lebensmittelsystems erfordern und nicht nur eine schrittweise kurzfristige Anpassung.
Für politische Entscheidungsträger*innen und Unternehmen ist es daher viel schwieriger, sich für eine solche Vision einzusetzen als für bloße Produktions- und Ertragssteigerungen.
Von Preisen und Handel
Im Mittelpunkt der Debatte über die Ernährungssicherheit stehen die Preise für Nahrungsmittel und der Handel mit ihnen. Die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Weizen und anderen Rohstoffen. Einige Länder sind in hohem Maße von solchen Importen abhängig, und die enormen Preissteigerungen könnten zu Hungersnöten führen. Kurzfristiger Aktivismus zur Steigerung der Produktion in anderen Ländern, um mögliche Verluste zu kompensieren, ist jedoch nicht die beste Lösung. Die Preise für Nahrungsmittelrohstoffe werden nur teilweise durch die Gesamtproduktion bestimmt. Sie korrelieren stark mit den Energiepreisen und hängen auch von der Nachfrage nach Bioenergie und Futtermitteln ab. Auch die in den letzten Jahrzehnten verringerten Lagerkapazitäten, die Abhängigkeit von den Weltmärkten und die Einsparungen bei der teuren Lagerinfrastruktur spielen eine wichtige Rolle, ebenso wie Spekulationen und psychologische Aspekte der Marktteilnehmer.
Es liegt auf der Hand, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Ernährungssicherheit der Regionen zu gewährleisten, die stark von Importen aus der Ukraine abhängig sind. Dazu darf sich die Debatte aber nicht nur auf Mengen und Preise beziehen. Vielmehr muss das Zusammenspiel zwischen der Selbstversorgung mit Rohstoffen, den Erträgen, der Aufteilung der Rohstoffe auf Nahrungs-, Futtermittel und Energie sowie der Abhängigkeit von Nahrungs- und Futtermittelimporten und Inputs wie Düngemitteln und Energie kritisch bewertet werden – idealerweise im Rahmen einer langfristigen Strategie zur Ernährungssicherung.
Was bedeutet das für die künftige Lebensmittelproduktion?
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns fragen, wofür wir was produzieren. Und auch wo und wie wir im Hinblick auf die großen Herausforderungen, vor denen die Lebensmittelsysteme heute stehen, einschließlich der unmittelbaren Krise, tätig werden. Die Debatte muss über Produktionsmengen und -erträge hinausgehen, und Entscheidungen sollten auf der Grundlage aller möglichen Optionen und unter Berücksichtigung aller Krisen, einschließlich Dürren und Hitzewellen und weiterer Auswirkungen des Klimawandels, getroffen werden. Nur dann ist es möglich, eine Strategie der Diversifizierung zu entwickeln, welche die Risiken minimiert und die Widerstandsfähigkeit der globalen und nationalen Ernährungssysteme gewährleistet. Dafür stehen uns viele Handlungsoptionen zur Verfügung, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Intensivierung und Ertragssteigerungen können die Landnutzung und die Umweltauswirkungen pro Produkteinheit verringern. Wenn sie jedoch angewandt werden, besteht die Gefahr, dass ihre Gesamtauswirkungen in einem lokalen Ökosystem die Tragfähigkeit überschreiten. Extensive Systeme wie der biologische oder agrarökologische Ansatz vermeiden dies eher. Aufgrund der geringeren Erträge lassen sich die Auswirkungen einer intensiveren Flächennutzung jedoch nur eindämmen, wenn diese durch eine Verkleinerung des gesamten Ernährungssystems vermieden wird. Dies erfordert Veränderungen auf der Verbraucherseite und entlang der Wertschöpfungsketten in Richtung einer Verringerung von Abfällen und Verlusten sowie eines geringeren Verbrauchs von tierischen Lebensmitteln. All das ist schwierig zu erreichen.
Die Optimierung von Produktionsstandorten für höchste Erträge birgt ein großes Potenzial zur Reduzierung des Flächenverbrauchs ohne die Nachteile der Intensivierung, erfordert aber umfangreiche Entscheidungen in der Produktion. Auch die potenziellen Vorteile neuartiger Lebensmittel stehen unter Vorbehalt, da sich diese meist noch in der Prototypenphase befinden und die Verbraucherakzeptanz oft ein Problem darstellt. Schließlich gibt es viele Aspekte, die wir noch gar nicht angesprochen haben. Beispiele sind vertikale Betriebe, bodenlose Produktion oder neue Züchtungstechnologien sowie die zentrale Rolle von Ausbildung, Wissens- und Informationsbedarf sowie deren Bereitstellung und die Rolle von Machtverhältnissen und Ungleichheit.
Unterm Strich gilt es, nicht dogmatisch zu sein. Keiner der genannten Ansätze wird die Probleme allein lösen, keiner darf aus ideologischen Gründen verboten oder naiv propagiert werden, und Vorsicht ist immer geboten. Nehmen wir diese Komplexität an und bauen wir klugerweise auf der reichhaltigen Basis für Lösungen auf, die uns all diese Ansätze zusammen bieten.