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Um tatsächlich die Möglichkeit zu haben vom technischen Fortschritt zu profitieren,
braucht es einen festen Rechtsrahmen. Doch der fehlt bisher weitgehend. Stattdessen wächst die Macht internationaler Konzerne.
Bei der weltweiten Überwindung von Hunger und Armut wird große Hoffnung auf die Digitalisierung in der Landwirtschaft gesetzt, auch vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Mit Drohnen sollen Pflanzenbestände, Schädlingsbefall und Ernteerträge besser erfasst und letztere durch den optimierten Einsatz von chemischen Düngemittel und Pestiziden gesteigert werden. Zusätzlich sollen Apps und Chatgruppen bei der fachlichen landwirtschaftlichen Beratung die Lücken schließen, die durch den Abbau der staatlichen Beratungsstrukturen im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme geschaffen wurden. Sehr große Erwartungen bestehen auch an digitale Dienstleistungen zur Preisinformation und die Organisation der Vermarktung von Produkten. Es wird erhofft, dass mit Hilfe der Digitalisierung die strukturellen landwirtschaftlichen und infrastrukturellen Probleme der Entwicklungsländer innerhalb kürzester Zeit überwunden werden können und es zu einem Entwicklungsboom kommt. Diese Hoffnung wird von vielen privatwirtschaftlichen Akteuren, insbesondere den Digital- und Agrarkonzernen, nach Kräften genährt. Sie treiben die Entwicklung an und haben wie der Konzern Bayer-Monsanto ihr langfristiges Geschäftsmodell auf die Digitalisierung in der Landwirtschaft ausgerichtet.
In vielen von der Digitalisierung erfassten Bereichen der Landwirtschaft bestehen schon heute oligopolartige Strukturen, und die Entwicklung wird von Konzernen forciert, die naturgemäß ein Gewinninteresse haben. Am bekanntesten sind diese Prozesse bei Saatgut und Pestiziden. Mit der Digitalisierung können sich diese olipolartigen Strukturen jetzt noch besser untereinander verknüpfen und ihre Macht ausweiten. Die neuen digitalen Geräte erfassen, was Bäuer*innen wann tun, von der Aussaat über den Einsatz von Pestiziden und Düngern bis zur Ernte, Lagerung und Vermarktung. Viele Konzerne streben auf Basis dieser Daten Lösungen für die ganze Produktionskette aus einer Hand an. Ist dies nicht möglich, gehen sie Kooperationen mit einem oder zwei anderen großen Konzernen aus anderen Sektoren ein. Zum Beispiel kann eine Kooperation eines Saatgut- und Pestizid-Konzerns mit einem Landmaschinen-Produzenten und einem großen Agrarrohstoffhändler gewinnbringend sein.
Angesichts der schon bestehenden Marktmacht von Konzernen wie Bayer, John Deere, Cargill oder Amazon erscheint eine Verteilung der Gewinne zu Gunsten der armen Bevölkerung, zugunsten der Bäuer*innen, als sehr unwahrscheinlich, denn sie sind das schwächste Glied in der Kette. Zusätzlich besteht für die Bäuer*innen die Gefahr des Lock-In in die Geschäftsmodelle der Konzerne, da sie über die konzerngetriebenen Digitalisierungen nur noch selektive Beratungsangebote im Rahmen der Geschäftsmodelle erhalten. Eine App von Bayer wird eher nicht für agrarökologische Methoden des Pflanzenschutzes werben. Um die Bäuer*innen vor diesen Gefahren zu schützen und ihnen einen Zugang zu Digitalisierung zu verschaffen, der ihnen nutzt und ihre Rechte gegenüber den Konzernen, aber durchaus auch gegenüber Staaten stärkt, ist es notwendig, dass eine klare Regulierung der Digitalisierung in der Landwirtschaft im Rahmen der Vereinten Nationen und dann durch die Staaten selbst erfolgt. Einige wichtige Regulierungsansätze sollen in der Folge diskutiert werden. Dafür ist es auch notwendig zu fragen, wen die Digitalisierung bisher erreicht.
Die Digitalisierung in der Landwirtschaft gerade auch in der Entwicklungszusammenarbeit ist kein so neues Phänomen, wie es der momentane Hype vermuten lässt. Es gibt Studien, unter anderem von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die sich mit der bisherigen Digitalisierung der Landwirtschaft befassen und zu kritischen Ergebnissen kommen. Sie zeigen zum Beispiel auf, dass die Digitalisierung die Kluft zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, zwischen Stadt und Land und zwischen Männern und Frauen weiter vertieft und nicht überwindet. Um die Digitalisierung überhaupt nutzen zu können, sind eine Grundinfrastruktur, der Zugang zu ihr und ein Gerät, mit dem man die digitalen Anwendungen abrufen und nutzen kann, notwendig. Dies erfordert nicht unwesentliche finanzielle Ressourcen und auch den regelmäßigen Zugang zu Elektrizität und Netzverbindungen. Gerade in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern besteht aber genau hier schon seit Jahrzehnten ein großer Mangel. Für Frauen kommt verschärfend hinzu, dass sie häufig keinen eigenen oder ausreichenden Zugang zu Finanzen haben. So ist für sie der Zugang zur digitalen Welt deutlich erschwert oder oft nicht unabhängig möglich. In der Folge werden viele Frauen, die im ländlichen Raum leben und als Bäuerinnen arbeiten, zurzeit von der Digitalisierung nur sehr schlecht erreicht. Dies ist aber eine wichtige Zielgruppe, die erreicht werden muss, sollen die VN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) mit ihrem Leitsatz „Leave No One Behind“ umgesetzt werden.
Insgesamt muss man sich auch vor Augen führen, dass 50 Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zum Internet haben und in den am wenigsten entwickelten Ländern nur 17,5 Prozent der Bevölkerung überhaupt das Internet nutzen. Angesichts dieser Zahlen sollte man mit Blick auf die Digitalisierung innehalten und sich kritisch fragen, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit die Digitalisierung in der Landwirtschaft für die von Hunger und Armut Betroffenen wirklich hilft. Wichtig ist zu fragen: Verstärkt Digitalisierung möglicherweise gesellschaftliche Kluft, und welche Erfahrungen gibt es bereits im Entwicklungskontext?
Damit beschäftigt sich eine Studie aus Großbritannien aus dem Jahr 2018. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Digitalisierung in ihrer bisherigen Form bestehende Ungleichheiten verstärkt und nicht überwindet. Es wird eine Vielzahl von Problemen benannt, die zu einer generellen Benachteiligung der armen und der ländlichen Bevölkerung führen.
Angesichts der von unterschiedlichen Studien benannten Probleme bekommt die Frage große Bedeutung, wie benachteiligte Bevölkerungsgruppen ihre Rechte einfordern können. Diesen Punkt gilt es auch explizit für die Digitalisierung in der Landwirtschaft zu beachten.
Die digitale Ökonomie basiert zu wesentlichen Teilen auf der Nutzung und Auswertung von Daten durch Konzerne. Wer die heutigen digitalen Anwendungen von Konzernen zur Anbauberatung (Düngung, Pflanzenschutz etc.) und Vermarktung nutzt, zahlt dafür gerade in Entwicklungsländern häufig nichts oder wenig; dafür werden betriebsrelevante Daten in die Programme der Anbieter*innen eingespeist. Diese Daten sind für jene eine Grundlage, um ihre Programme und Angebote weiterzuentwickeln, zu optimieren, um so zu einer immer größeren Marktmacht zu kommen. In der Folge hoffen sie, ihre Anwendungen immer gewinnbringender verkaufen zu können. Die von den bäuerlichen Betrieben eingespeisten Daten stellen also einen zukünftigen finanziellen Wert für die Konzerne dar. Mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen, die von den Bäuer*innen unterzeichnet werden müssen, damit sie die digitalen Produkte nutzen können, stimmen sie häufig zu, dass die Anbieter*innen mit den Daten weiter arbeiten und sie nutzen können. Bisher geben die Nutzer*innen gewissermaßen die Rechte an ihren Daten ab, denn es ist unzureichend geklärt, was die Unterzeichnung der allgemeinen Geschäftsbedingungen alles bedeuten kann. Im schlimmsten Fall könnte es bedeuten, dass sich Konzerne gewisse bäuerliche Praktiken, wie zum Beispiel die traditionelle Behandlung von Saatgut vor Aussaat mit Kuhurin rechtlich schützen lassen und sie ihr traditionelles Wissen in der Zukunft nicht mehr uneingeschränkt anwenden können.
Dies ist aus menschenrechtlicher Sicht problematisch. Denn viele der Daten, die etwa zu Saatgut oder Anbautechniken von den digitalen Programmen erhoben werden, sind als traditionelles oder bäuerliches Wissen zu verstehen, das von verschiedenen Rechtskontexten als rechtlich besonders schützenswert angesehen wird. Auch sind diese Daten die Basis ihrer bäuerlichen Produktionssysteme, die nun in die Hände von Konzernen geraten, die für ein industrielles nicht bäuerliches Produktionssystem stehen. Dies kann eine weitere Kluft zu Ungunsten von Bäuer*innen schaffen – da vor allem Anwendungen für industrielle Systeme entwickelt werden und für Bäuer*innen über digitale Anwendungen ein gewisser Entwicklungspfad im Sinne der Konzerne (Lock-In) vorgegeben wird.
Wären die Rechtskontexte zum Schutz von bäuerlichem und traditionellem Wissen, die im Rahmen der Vereinten Nationen etabliert wurden, vollständig ausbuchstabiert und in nationales Recht überführt worden, hätten es die Konzerne nicht so einfach beim Zugriff auf die für sie so wichtigen bäuerlichen Daten. Sowohl das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), unter anderem Artikel 8 und der FAO-Saatgutvertrag in Artikel 9 zu „Farmers‘ Rights“, fordern die Vertragsstaaten auf, Gesetze zum Schutz bäuerlichen und traditionellen Wissens zu entwickeln und zu erlassen. Ziel war und ist es, genanntes Wissen vor Missbrauch und Kommerzialisierung durch andere und ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen zu schützen. In der Folge müssten die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Nutzung digitaler Anwendungen ganz anders und im Sinne des Schutzes bäuerlichen Wissens formuliert sein.
Mit den genannten Übereinkommen soll sichergestellt werden, dass dieses Wissen weiter der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Dies soll in beiden Vertragswerken durch Regelungen zum Zugang zu (digitalen) Ressourcen und durch gerechten Vorteilsausgleich (Access and Benefit Sharing) erreicht werden. Bäuer*innen würden demnach entscheiden, ob sie Zugang gewähren oder ob sie die Anwendung nutzen, ohne dass die Daten weiterverwendet werden dürfen. Dies würde bedeuten: Es müssen mehrere Optionen von den Anwendern angeboten werden. Gewähren sie Zugang, müsste dafür ein Vorteilsausgleich geleistet werden, der dazu beiträgt bäuerliches Wissen für die Allgemeinheit zu erhalten und zu stärken. Diese Gesetze so zu entwickeln, wurde in den letzten Jahren aber versäumt.
Gleichzeitig ist im Rahmen beider Vertragswerke ein erbitterter Streit zwischen den Staaten des Nordens und des Südens darum entbrannt, ob der etablierte Mechanismus für den Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechten Vorteilsausgleich (ABS) sich auch auf Digital Sequence Information (DSI) erstreckt, also auf digitale Informationen, die aus „analogem“ genetischem Material gewonnen wurden. Dieser Streit unter den Vertragsstaaten zeigt deutlich, wie eng beide Vertragswerke mit der Digitalisierung und ihrer rechtlichen Regulierung verknüpft sind.
Viele Staaten haben die eigenen Versäumnisse, bäuerliches Wissen ausreichend zu schützen, erkannt. So wurde die Notwendigkeit, bäuerliches Wissen zu schützen, erst 2018 erneut durch die Erklärung der Vereinten Nationen über die „Rechte von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen“ (Peasant Rights Declaration) arbeiten, unterstrichen. Dies muss von der Bundesregierung und dem BMZ als Anlass genommen werden, die in CBD und dem FAO-Saatgutvertrag festgelegten Pflichten zur Formulierung von Gesetzen zum Schutz bäuerlichen Wissens endlich ernsthaft umzusetzen und auch andere Staaten dabei zu unterstützen.
Ein erster Schritt in diesem Kontext wäre eine wissenschaftliche Studie, inklusive politischer Empfehlungen, die das BMZ in Auftrag geben würde. Diese sollte thematisieren, wie die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über biologische Vielfalt (CBD) und aus dem FAO-Saatgutvertrag zum Schutz traditionellen und bäuerlichen Wissens rechtsverbindlich und auch auf Digitalisierung bezogen umgesetzt werden können. Als Orientierungsrahmen oder Vorbild könnte die 2015 von der GIZ veröffentlichte Studie „The UPOV Convention, Farmers’ Rights and Human Rights“ dienen. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um zu Gesetzen zu kommen, die bäuerliches Wissen im Kontext der Digitalisierung wirklich schützen können.
Aber nicht nur beim Schutz bäuerlichen Wissens gibt es großen Nachholbedarf. So gibt es in vielen afrikanischen Staaten, unter anderem in Kenia, keine Datenschutzgesetze für personenbezogene Daten. Daher ist in vielen afrikanischen Staaten selbst schon das Erheben von Daten durch den Staat extrem umstritten. Zusätzlich kann häufig nicht garantiert werden, dass die Daten in dem Staat gespeichert werden, in dem sie erhoben werden. So werden bisher 90 Prozent der Daten über Afrika in Europa oder Nordamerika gespeichert; mit der Folge, dass die Daten in einen anderen Rechtsrahmen übergehen. Dies ist ein großes Souveränitätsproblem, sowohl für Staaten als auch für Bäuer*innen. Wie sollen sie über ihre Daten entscheiden, wenn sie in anderen Staaten mit anderen Gesetzen gespeichert werden?
Die Chancen der Digitalisierung der Landwirtschaft, die zweifelsohne vorhanden und groß sind, müssen sinnvoll und armutsmindernd genutzt werden. Dies bedeutet, die momentanen Entwicklungen kritisch zu hinterfragen und sich den benannten Problemen zu stellen. Dazu ist es essenziell, die Wirkung der eigenen Projekte für arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen in diesem Bereich zu überprüfen.
Soll die Digitalisierung in der Landwirtschaft ansatzweise rechtstaatlich funktionieren und sollen die Daten von Bäuer*innen sowie die Rechte an ihnen nicht in die Hände von Konzernen fallen, dann muss es Mindeststandard sein, dass belastbare Datenschutzgesetze vorhanden sind. Zusätzlich müssen Gesetze zum Schutz des bäuerlichen Wissens erlassen werden. Weiter muss eine ausreichende Kapazität zur Speicherung der Daten in den Staaten, in denen sie erhoben werden, existieren oder aufgebaut werden. Dies wird auch von Teilen der afrikanischen Zivilgesellschaft gefordert. Nur wenn die Daten im Land bleiben, kann sichergestellt werden, dass die Rechte, welche die Daten betreffen, auch eingefordert werden können.
Diese Grundlagen sind notwendig, damit die Digitalisierung in der Landwirtschaft erfolgreich für Bäuer*innen und für die arme und benachteiligte Bevölkerung gestaltet werden kann.