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Weltweit gerät die Landwirtschaft unter Druck: Bakterien, Viren und Insekten machen dem Anbau zu schaffen. In Palästina forscht Dr. Rana Samara von der Palästinensischen Akademie für Wissenschaft und Technologie nach Lösungen für das Problem. Und sie findet sie in der Natur selbst.
Binnen einer Minute verwandelt sich der Schreibtisch in eine Wiese. Gerade noch hatte die Frau am Computer Mails geschrieben und dabei den Monitor, der auf drei Büchern steht, geradegerückt. Doch da ist die Tür. Durch die kommen alle paar Minuten Student:inen herein, die meisten mit einer Frage, andere geben ein Paper ab. Und dann kommt eine Zweitsemesterin hinein, sie überreicht eine schwarze Plastiktüte. Rana Samara, Professorin für Agrarwissenschaft und Pflanzenschutz, weitet ihre ohnehin schon großen Augen – und schüttet den Inhalt, lauter Pflanzenblätter, auf ihrem leeren Schreibtisch aus, hier in Raum 314, dritter Stock der Kadoori-Universität in Tulkarm, palästinensisches Westjordanland. „Es ist wie eine Wundertüte“, strahlt sie, „man weiß nie, ob man etwas Neues entdeckt“.
Samara sucht Schädlinge. Sie zückt eine Lupe aus der linken Schreibtischschublade und sortiert die Blätter auf drei Haufen, „das hier sind Viren, hier kommt Käferfraß hin – und dies, ja, das sind Schildläuse“. Die Studentin schreibt mit, sie hatte zur Aufgabe, nach kranken Pflanzen Ausschau zu halten. Und kam mit reicher Beute zurück. Nicht nur in Palästina, überall leiden Anbaupflanzen immer mehr. Da ist die zunehmende Resistenz von Schädlingen gegenüber chemischen Pestiziden, aber vor allem der Klimawandel schlägt in der Landwirtschaft ein neues, schwieriges Kapitel auf: Hitze, Dürre und Frost nehmen zu. Mal zu wenig, mal zu viel Niederschlag. Und mit Hilfe der gestiegenen Temperaturen wandern die wärmeliebenden Schädlinge, legen Strecken zurück, manchmal über Kontinente hinweg, die sie vorher nie schafften. Dies setzt die palästinensische Landwirtschaft unter Stress und in eine Poleposition. Denn all diese Herausforderungen werden auf Deutschland zukommen. Samara sucht nach Mitteln, sich dieser Herausforderung zu stellen. Das Spezialgebiet der Entomologin, der Insektenkundlerin: Biologische Schädlingsbekämpfung.
„Viele Lösungen hält die Natur parat“, sagt sie, „man muss sie nur suchen und finden“. Ihre Forschung ist Pionierarbeit auch für den globalen Norden.
Samara, 50, gehört zu jenen Professor:innen, deren Tür stets offen, sie meist ansprechbar ist. Und tritt sie auf den Flur, umringen sie nach wenigen Augenblicken Studierende. Einer reicht ihr seine Hausarbeit, ein Besuchsbericht bei einem Bauern: Die Studenten sollen Probleme auf den Höfen notieren und Lösungsvorschläge für die Farmer erarbeiten. „Die Schrift ist zu klein“, bescheidet Samara knapp, „das lesen die nicht“. Eine Master-Studentin fragt, ob Samara später im Labor vorbeischaut, sie beginne mit Öl-Experimenten; selbst extrahierte Pflanzenlösungen, die auf ihre abweisende Eigenschaft gegenüber Schädlingen hin untersucht werden. „Wie viele Lösungen musstest du neu machen?“ fragt Samara. Vor einer Woche seien israelische Soldaten durch den Campus gezogen, die akademische Arbeit ruhte – und bereits fertig gezogene Öle waren in der Zwischenzeit verdorben. „Fünf“, sagt die Studentin.
Die landwirtschaftliche Fakultät ist ein heller, spartanischer Bau mit hohen Fenstern, im weitläufigen Treppenhaus sitzen über die Stockwerke verteilt Studenten auf den Stufen und scherzen miteinander; die meisten aber memorieren still murmelnd Lernstoff. In der Cafeteria im Erdgeschoss zeigt ein lastwagengroßes Plakat die Fotos von Mitgliedern des Studierendenparlaments, die von israelischen Sicherheitsbehörden inhaftiert wurden; ihre Namen zeigen mal muslimische, mal christliche Herkunft. Samara will zu den Versuchsfeldern der Universität. Sie läuft entlang kurz gemähten Rasens, mit Zierbäumen bepflanzt, und geht auf eine Mauer zu: der Festungswall, der Israel vom Westjordanland trennt. Direkt an der Grenze liegt die 1930 gegründete Universität. Wissenschaft steht in der Region unter einem steten Vorbehalt. Unvorhersehbar ist, ob wegen der Konflikte zwischen israelischen Soldaten sowie Siedlern auf der einen Seite und der palästinensischen Bevölkerung auf der anderen Seite Straßen befahren werden können, ob zum Beispiel Unterricht stattfindet oder nicht. Heute sind zwei von den vier Kindern Samaras zuhause geblieben – der Schulweg nach Nablus ist nach einer israelischen Razzia in einer Bombenwerkstatt versperrt.
Im Agrarfeld wachsen Gurken, Orangen und Melonen; die Forscher nutzen verschiedene Saaten und vergleichen sie miteinander. Aus einem Gewächshaus zieht der Duft von Erdbeeren. „Ah, mein Frühstück“, sagt Samara. Die Früchte stecken in von der Decke hängenden Rinnen: Das hydroponische System zieht ein Stockwerk ein, die Früchte kommen ohne Erde aus und leben von mineralischen Nährlösungen aus Wasserbasis. „Flächen in Palästina sind knapp“, sagt Samara, „wir probieren neue und effektive Formen der Bewirtschaftung aus“. Auch Wasser ist in der Region eine wertvolle Ressource. Die Erdbeeren beziehen „Grauwasser“, also bereits benutztes und wieder aufbereitetes Leitungswasser aus Haushalten. „Die Bauern sind nur schwer zu überzeugen, auch dies zu nehmen. Aber es funktioniert. Und steter Tropfen höhlt den harten Stein.“ Sie lacht.
Samaras Berufsweg spiegelt die Geschichte der palästinensischen Gesellschaft. Aufgewachsen in Kuwait, kannte sie keine Bäume, keine Gräser, nur Wüstensand. Viele Palästinenser lebten im Emirat, ihr Vater diente als Offizier in der kuwaitischen Armee, aber mit dem Angriff des irakischen Diktators Saddam Hussein auf das Land und seiner Niederlage wurden die meisten Palästinenser 1991 aus Kuwait vertrieben – als Strafe dafür, dass der damalige PLO-Führer Jassir Arafat Partei für die Invasion ergriffen hatte. Die jugendliche Rana kam ins jordanische Amman, wo sie unmittelbar nach der Ankunft ihr Abitur machte; wegen der Flucht und der Umstellung auf ein anderes Schulsystem mit nicht sehr guten Noten. Doch die weisen einem gemeinhin zu, welche Fächer man studieren darf: Bei ihr standen Geologie oder Agrarwissenschaft zur Auswahl. Samara hatte in ihrer Kindheit stets Tierdokus im Fernsehen am liebsten geschaut, entschied sich für Landwirtschaft – und wurde gleich im ersten Semester bei der Vorlesungsreihe über Pflanzenschutz in die Welt der Insekten eingeführt. Es öffnete ihr die Augen.
„Ich bin von Insekten fasziniert“, sagt sie, während sie in Richtung Labor geht, „sie sind so vielseitig, zeigen intelligentes Verhalten – sie sind smart“.
Noch als Studentin habe sie in einer Agrarfirma zu arbeiten begonnen, erzählt sie. „Ich dokumentierte Ernteschutzmaßnahmen, archivierte die Wirkungen von chemischen Pestiziden. So viel wurde von den Giften benutzt!“ Es öffnete ihr die Augen ein zweites Mal. „Wir essen die Pestizide, sie sind überall.“ Speziell in Palästina werden gar Pestizide eingesetzt, die in Israel verboten und hinübergeschmuggelt werden. Und welche Lösung hat sie? Samara zückt ihr Smartphone und zeigt Bilder von Dattelpalmen. „Diese hier sind im Jordantal von Rüsselkäfern attackiert worden.“ Man sehe die Erkrankung von außen erst, wenn die zum Teil 15 Jahre alten Palmen innen ausgehöhlt plötzlich sterben. Gegen chemische Pestizide hatten die Käfer Resistenzen entwickelt. „Aber eine Studentin von mir entdeckte einen Pilz, der diese Tiere vertreiben kann, wenn er an den Palmen kultiviert wird. Oder die Eulenfalter: Vor drei Jahren begannen sie aus Lateinamerika kommend die palästinensische Maislandwirtschaft zu dezimieren, legten ihre Eier in die Früchte. Deren Larven fressen dann den Mais, Chemie allein dagegen half nicht. „Wir nutzten Positiverfahren aus Afrika und interpretierten sie für unsere Region neu“, erinnert sich Samara.
Samara hat in Deutschland promoviert, mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). An der Uni Hohenheim vertiefte sie ihr Wissen zu biologischer Schädlingsbekämpfung. „All diese Kompetenzen werden mit dem Klimawandel wichtiger.“ Die palästinensische Landwirtschaft nehme an Bedeutung zu, wegen der steigenden Armut. „Allein Staatsangestellte erhalten derzeit wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise nur 80 Prozent ihres ursprünglichen Lohnes – jeder spart und versucht selber anzubauen.“ Sie schätzt, dass 80 Prozent aller Palästinenser so verfahren und jeden Quadratmeter agrarfähigen Bodens nutzen; auch in den Städten. „Wegen der Wasserarmut muss man nun auf resistentere Sorten umsteigen“, sagt Samara, während sie wieder zurück in der Fakultät die Treppen in den ersten Stock hoch eilt.
„Wir machten die Erfahrung, dass besonders alte, fast vergessene Weizen- und Gerstesaaten sich nun gut machen und sich besser anpassen.“
Das Grundwasser, vor allem jenes im Jordantal, ist sehr salzhaltig, weil Regen ausbleibt, „braucht es Pflanzen, die dem standhalten.“ Da ferner oft Strom fehlt, würde man mehr und mehr mit Photovoltaik arbeiten, „das nimmt stark zu, auch in der Landwirtschaft“. Und ein weiteres Projekt an der Fakultät: Die Bauern werden angelernt, ihre eigenen Abfälle zu kompostieren, für besseren Dünger. „Es passiert viel, aber das muss es auch.“ Es ist ein Korb an Ideen, der die Landwirtschaft der Region fit für die Zukunft machen soll. Wie sie sich machen wird, ist auch eine Lehrerfahrung für die des globalen Nordens.
Die Mittagszeit ist schon vorüber, außer einer Erdbeere und dem Kaffee hat Samara nichts im Magen – nun aber öffnet sie einen Vorlesungsraum. „Was sind Fadenwürmer?“, fragt sie zehn Studenten auf der rechten Seite des Saals und drei Studentinnen auf der linken. Mehrere Arme gehen hoch, und rasch entführt Samara ihre Jungakademiker:innen ins Reich der Nematoden, „20.000 Arten sind beschrieben“, sagt sie, „aber Schätzungen gehen von 100.000 bis zehn Millionen Arten aus“. Die Münder der Studierenden stehen ob dieser Dimensionen offen. Fadenwürmer werden verstärkt gegen Pflanzenschädlinge eingesetzt. Samara holt nun aus, schwärmt von den ultradünnen Flügeln des Hufnagel-Falters, oder von der Motte des Baumwollwurms – „sie fliegt in vier Stunden eineinhalb Kilometer“. Am Ende sammelt sie Hausarbeiten ein, die von den Studierenden erstellten Ratgeberbroschüren für Kleinbauern. „Die jungen Leute haben eine Reihe von Katastrophen hinter sich“, sagt Samara, als sie mit den Arbeiten unterm Arm zu ihrem Büro schlendert. Durch Aufstände und Corona-Lockdowns sei Unterricht weggebrochen, „echtes Basiswissen. Nun holen wir nach, zum Beispiel, wie man Präsentationen macht. Auch Interaktion will erlernt sein“.
Gegen 14:30 Uhr lehnt sich Samara in ihrem Stuhl zurück und zeigt eine erste Müdigkeit. Seit fünf ist sie auf den Beinen. Die vielen Verpflichtungen, die politische Anspannung, es schlaucht. Ihr Blick bleibt am einzigen Bild im Büro haften: ein Foto der Niagara-Fälle gegenüber an der Wand; ein Souvenir aus ihrer Post-Doc-Phase in Kanada. Aber, sagt sie, da seien die wissbegierigen Studenten, die Bedeutung ihrer Arbeit für die Landwirtschaft und damit für so viele Leute, die von ihr abhängen. Ihre Amtszeit als Dekanin der Fakultät hat sie nicht verlängern lassen, „ich hatte kaum noch Zeit für Forschung – dafür liebe ich sie am meisten“. Würde sie noch etwas anderes reizen? Sie überlegt. „Als Studentin habe ich in einem Blumenladen gejobbt, die Düfte, die Schönheit – das gefiel mir.“ Manchmal, sagt sie, träume sie von einem Blumenladen, und sie mittendrin. In einem russischen Gedicht über Blumen heißt es: „Lasst Blumen wachsen, lasst Ideen wachsen, lasst die Setzlinge eures eigenen Schaffens wachsen und kultiviert euch selbst und andere." Es scheint, als sei Samaras Traum für sie längst Wirklichkeit.