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Die Trockengebiete Afrikas sind wie geschaffen für die Erzeugung von Solar- und Windenergie – vor allem angesichts des aktuellen Hypes um grünen Wasserstoff. Hirtengemeinschaften sind hierbei jedoch oft im Nachteil. Unser Autor geht auf die entstehenden Konflikte ein und beschreibt, wie ein gedeihliches Miteinander von Ökostromprojekten und den Gemeinschaften aussehen könnte.
Dieser Beitrag erschien zuerst als Newsmeldung in der Rural21 und ist Teil einer Medienkooperation zwischen Rural21 und foodfortransformation.org
Dem 2021 von Price Waterhouse Coopers herausgegebenen Africa Energy Review zufolge ist die Kapazität der erneuerbaren Energien in Afrika seit 2013 um 24 Gigawatt gestiegen, davon entfallen 14 Prozent auf Windenergie und 13 Prozent auf Solarenergie. Prognosen zufolge wird die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Afrika bis 2050 von derzeit 1,79 Exajoule auf 27,3 Exajoule ansteigen – das ist ein immenser Sprung.
Die Trockengebiete Afrikas sind vor allem durch das wachsende Interesse an umweltfreundlicher Energie ins Rampenlicht gerückt. Regierungen und Investoren haben erkannt, dass sich diese Gebiete hervorragend für die Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie eignen. Für verschiedene Hirtenvölker, Jäger und Sammler sowie für Ackerbauern, die sie gemeinschaftlich nutzen, stellen die Trockengebiete jedoch eine wichtige Lebensgrundlage dar. Mit der Wiederentdeckung der Potenziale von Trockengebieten wird dem lange vorherrschenden Vorurteil entgegengewirkt, dass es sich dabei um Ödland handelt, das für bessere wirtschaftliche Vorhaben nutzbar gemacht werden muss. Das sich hartnäckig haltende Mär von „brachliegendem“ und „ungenutztem Ödland“ wird bei den derzeitigen Bestrebungen zur Errichtung von Solar- und Windkraftanlagen nach wie vor als Rechtfertigung für den Landerwerb angeführt.
Zwar kann umweltfreundliche Energie dazu beitragen, die Resilienz von Gemeinschaften gegenüber dem Klimawandel zu verbessern, doch wird die rücksichtslose Art und Weise, wie Land erworben wird, ihre Anfälligkeit eher noch verstärken.
Die Besitzrechte werden in den meisten afrikanischen Trockengebieten nach wie vor größtenteils kommunal geregelt und von den Regierungen nicht als legitime Form des Landbesitzes anerkannt. Dies hat zur Folge, dass Landnutzer*innen aus den Hirtengemeinschaften bei der Planung von Energieinvestitionsprojekten nicht ausreichend über die Pläne und ihre eigenen Rechte informiert werden, und so haben sie auch keine Möglichkeit, sich gegen die Maßnahmen zur Wehr zu setzen. Landbesitz wird weder als solcher anerkannt noch registriert. Das heißt, die Gemeinschaften erhalten keine Entschädigungszahlung für ihr Land und die Maßnahmen bringen ihnen auch keine Vorteile, abgesehen vielleicht von ein paar Beschäftigungsmöglichkeiten und ein paar bescheidenen Projekten zur Förderung sozialer Verantwortung der Unternehmen.
Im Grunde genommen handelt es sich hier um Landraub. Den Landnutzer*innen werden Ressourcen wie Weideland und natürliche Energiequellen (Brennholz) weggenommen, und oftmals haben sie nicht einmal Zugang zu dem auf ihrem eigenen Land erzeugten Strom.
So haben einige Ökoenergieprojekte zu Landenteignung und Verlust von Energieressourcen geführt, was den Zugang zu Weideland einschränkt und die Anpassungsfähigkeit von Migrationspraktiken unterbricht – in diesen sehr unbeständigen Umgebungen oftmals die wichtigste Produktionsstrategie. Für die Hirtengemeinschaften verschlechtert sich hierdurch die Resilienz gegenüber den sich bereits verändernden klimatischen Faktoren.
In fast allen Ländern hat die Erzeugung erneuerbarer Energien die historische Marginalisierung der Hirtengemeinschaften noch weiter verschlimmert.
Häufig versuchen die betroffenen Gemeinschaften, sich gegen diese Projekte zur Wehr zu setzen, manchmal auch gewaltsam, was wiederum zu schwerwiegenden Konflikten führt. Die Regierungen betrachten dies jedoch nicht als Aufbegehren zum Schutz ihrer Rechte, sondern bezeichnen diesen Widerstand als entwicklungsfeindlich. So kommt es zu Projektverzögerungen und manchmal sogar zum Scheitern von Projekten, was dazu führt, dass wirtschaftliche Potenziale, die dem Land, den Investoren und vor allem den Menschen zugute kommen, nicht genutzt werden können.
Doch trotz dieser Widrigkeiten gibt es in jüngster Zeit einige positive Entwicklungen in der Agitation der Hirtenvölker gegen Ökostromprojekte. In Kenia wurde das größte Windkraftprojekt Afrikas, das Projekt Lake Turkana, von einer Gemeinschaft erfolgreich angefochten, da die Landgerichte den Erwerb von 150.000 Hektar Land für den Bau der Windkraftanlage für illegal erklärten. Allerdings haben die Gerichte den Gemeinschaften nicht die Befugnis zuerkannt, die Tätigkeit des Unternehmens einzustellen, bis die Landfrage geklärt ist.
Dass die Klage erfolgreich war, ist dennoch ein beispielloser und historischer Sieg, denn es kommt wirklich selten vor, dass kleine und marginalisierte Gemeinschaften einen Rechtsstreit gegen internationale Unternehmen gewinnen, die an einem von der Regierung unterstützten Projekt beteiligt sind.
Der Fall setzt zudem Maßstäbe für Gemeinschaften, die keine anerkannten Rechtsansprüche auf ihr Land haben und denen eine ähnliche Enteignung droht. Im genannten Beispiel, in dem das Windkraftprojekt bereits fertiggestellt ist und in das nationale Stromnetz eingespeist wird, bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit die Gemeinschaft davon profitiert bzw. entschädigt wird. Man darf davon ausgehen, dass bei weiter steigendem Interesse an Land in den Weidegebieten eine wachsende Zahl von Hirtenvölkern ihren Landbesitz an Großprojekte für erneuerbare Energien verlieren und in die Armut getrieben wird.
Darum ist es umso wichtiger, dass die Menschenrechtsprinzipien und die rechtliche Anerkennung der Besitzrechte an gemeinschaftlich genutztem Land gestärkt werden.
Die Situation ist umso tragischer, als die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker (United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, UNDRIP) und die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (Convention 169 of the International Labour Organization, ILO) das Mitspracherecht indigener Völker bei Entscheidungen, die ihr Leben und ihren Lebensunterhalt betreffen, als Menschenrechtsprinzipien verankert haben und es ihr eigentliches Ziel ist, diese zu schützen. Man darf von den Regierungen und Investoren erwarten, dass sie nach den Grundsätzen der freien, vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (Principles of Free, Prior Informed Consent, FPIC) vorgehen, um sicherzustellen, dass die Gemeinschaften verstehen, worum es bei dem geplanten Projekt geht, und ihre Zustimmung in einer für sie angemessenen Weise erteilen. Doch trotz dieser Bestimmungen geben Investoren nicht alle Informationen über ihre Projekte preis, denn oftmals sind es die Regierungen, die aus Gründen des größeren wirtschaftlichen Nutzens für das Land die Forderungen nicht durchsetzen. Vor allem in Ländern, in denen Menschenrechte nur unzureichend geschützt werden, halten sich die meisten Unternehmen, die sich mit dem Thema Ökostrom befassen, nicht an die FPIC-Grundsätze als Verpflichtung zur Sorgfaltspflicht und zur Einhaltung ihrer eigenen Menschenrechtspolitik. Nach Angaben des Business and Human Rights Resource Centre hielten sich von 50 überprüften Unternehmen aus der Branche der erneuerbaren Energien nur fünf an die FPIC-Grundsätze. In Kenia, einem Land, das die UNDRIP nicht unterzeichnet hat, wurden für das zuvor erwähnte Projekt Turkana Lake die FPIC-Grundsätze nicht befolgt – mit der fadenscheinigen Ausrede, dass es in dem Gebiet, in dem das Projekt durchgeführt werden sollte, keine indigenen Bevölkerungsgruppen gibt. Die FPIC-Grundsätze hätten jedoch beachtet werden müssen – ganz unabhängig davon, ob die dort lebenden Gemeinschaften als indigene Völker betrachtet werden oder nicht.
Um einen gerechten Übergang zu umweltfreundlicher Energie zu ermöglichen, müssen die traditionellen Systeme der Gemeinschaften, einschließlich ihres Landbesitzes, ihrer Kultur und dem Gesamtwert ihrer Landnutzungssysteme, entsprechend anerkannt werden.
Werden diese Werte anerkannt, kann der Landbesitz bei der Projektentwicklung als Beitrag der Gemeinschaften berücksichtigt werden. So lässt sich der Nutzen für die Gemeinschaft langfristig einbeziehen, etwa in Form einer Kapitalbeteiligung am Projekt und eines Community Trusts, über den die Erträge verwaltet werden. Wie dieser Ansatz funktioniert, zeigt das Windkraftprojekt Kipeto in Kenia. An die Eigentümer*innen der Grundstücke, auf denen die Windkraftanlagen errichtet werden, wurden jährliche Pachtzahlungen geleistet. Zudem erhielten sie einen Anteil an den pro Jahr erzielten Bruttoeinnahmen aus jeder Windkraftanlage sowie eine fünfprozentige Kapitalbeteiligung für die Gemeinschaft und eine Umsatzbeteiligung, die von einem Community Trust verwaltet wird.
Bevor man Ausnahmen beschließt, muss geprüft werden, ob ein gedeihliches Miteinander von Hirtengemeinschaften und Ökostromprojekten gewährleistet werden kann.
Abzuwägen, ob Energieerzeugung und Nahrungsmittelproduktion miteinander vereinbar sind, kann bei der Prüfung hilfreich sein.
Das heißt also, man reduziert die Fläche, die für die Erzeugung von Ökostrom genutzt wird, auf ein Minimum und gestattet, dass auf der freien Fläche Weidevieh gehalten und Ackerbau betrieben wird. Dieser multifunktionale Ansatz der Flächennutzung, bei dem beispielsweise der Raum unterhalb und zwischen den Solarmodulen oder Windturbinen für die Haltung von Weidevieh oder den Anbau anderer Naturerzeugnisse genutzt werden kann, kann eine Win-Win-Situation schaffen, die insgesamt zu einer höheren wirtschaftlichen Effizienz führt. Weidevieh in einem Solarpark zu halten, kann sich positiv auf das Wohlergehen der Tiere auswirken. Unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels, der zu einem Anstieg der Temperaturen führt, kommt diesem Aspekt eine besondere Bedeutung zu. Solarenergie ist im Vergleich zur Windenergie eine größere Herausforderung für die Weideviehhaltung – es sei denn, die Anlagen sind in einer bestimmten Höhe angebracht und die Tiere haben ausreichend Platz, ohne mit den Anlagen in Berührung zu kommen. Die Entwürfe entsprechend anzupassen und die Kollektoren nach oben zu setzen, erhöht zwar die Kosten der Solaranlage für den Investor, die Vorteile der Doppelnutzung der Flächen können diese Mehrkosten jedoch ausgleichen, vor allem in Gebieten mit hohem Weidewert.
Positive Beispiele für ein gutes Miteinander sind auf dem afrikanischen Kontinent zwar nur schwer zu finden, jedoch gibt es auf anderen Kontinenten eine Reihe von Beispielen. Feldversuche in Brasilien haben beispielsweise gezeigt, dass Weidetiere den Schatten von Sonnenkollektoren dem Schatten von Planen vorziehen. Viehzüchter in den Vereinigten Staaten und Australien haben beobachtet, dass sich die Tiere gerne im Schatten von Windkraftanlagen aufhalten. In mehreren europäischen Ländern weiden Tiere auf Flächen, die mit Wind- und Solaranlagen ausgestattet sind. Diese spenden Schatten, um die Tiere vor intensiver Sonneneinstrahlung zu schützen, und bieten der Bevölkerung zugleich eine kohlenstoffarme Energiequelle sowie ein zusätzliches Einkommen für Landwirt*innen, die Landrechte besitzen. Ein weiterer Vorteil erhöht angebrachter Sonnenkollektoren könnte darin bestehen, dass das zur Reinigung der Kollektoren verwendete Wasser nicht ungenutzt bleibt, sondern auf den Boden tropft, und so die darunter befindliche Vegetation (wenn auch in geringem Maße) bewässert. So aufschlussreich diese Beispiele für ein gedeihliches Miteinander auch sein mögen, für die Weidegebiete in Afrika, wo ein Großteil des Landes Gemeinschaftseigentum mit sich überschneidenden Nutzungsrechten verschiedener Nutzergruppen ist, sind sie möglicherweise nicht anwendbar. Unter dem Aspekt der multifunktionalen Landnutzung ist dieses Beispiel jedoch ein guter Denkanstoß.
Daher müssen Energieprojekte unter Einbeziehung aller Beteiligten so konzipiert sein, dass neben der Stromerzeugung auch die primären Funktionen des Bodens, also die Nahrungsmittelerzeugung und andere Leistungen wie die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Unterstützung der ländlichen Wirtschaftstätigkeit, gefördert werden.
Damit dieser integrative Ansatz gelingt, müssen die Besitzrechte der traditionellen Nutzer*innen der Allmende in den politischen und rechtlichen Regulierungssystemen Anerkennung finden. So haben beispielsweise einige Länder wie Kenia, Uganda und Tansania einen Rechtsrahmen für die Anerkennung und Registrierung von kommunalen Besitzrechten geschaffen. Allerdings hat die Anwendung der genannten Gesetze bislang nicht ausgereicht, um unrechtmäßige Enteignungen durch andere Landnutzungen zu verhindern.
Zudem bedarf es staatlicher Maßnahmen zur Förderung von gemeinschaftlich betriebenen und verwalteten kommunalen Energieprojekten, die sowohl für die lokale Energieerzeugung als auch für die Einspeisung in das landesweite Netz sorgen.
Energieunternehmen und Investoren sind verpflichtet, sich an bereits entwickelte globale Standards und internationale Vereinbarungen zu halten. Dazu gehören unter anderem die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights), die Leistungsstandards der Internationalen Finanz-Corporation für ökologische und soziale Nachhaltigkeit der Weltbank (International Finance Corporation Performance Standards on Environmental and Social Sustainability) und die Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Landbesitz, Fischereigebieten und Wäldern (Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests, VGGT) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) der Vereinten Nationen. Diese Standards stehen für die Anerkennung der Rechte der lokalen Gemeinschaften, die Anwendung der FPIC-Grundsätze und die Anerkennung ihrer traditionellen Systeme, wozu auch die Kultur des Landbesitzes sowie der Wert ihrer Landnutzungssysteme im Allgemeinen gehören.
Wenn also die Lebensgrundlagen geschützt werden und eine angemessene und gerechte Entschädigung gezahlt und Land rechtmäßig erworben wird, um Ökostromprojekte zu realisieren, können die Erträge aus diesen Projekten dazu beitragen, den Lebensunterhalt der Hirtenvölker zu sichern, um Krisen wie die momentan herrschende Dürre zu überstehen und Möglichkeiten zur Wiederbelebung zu schaffen.