Newsletter-Anmeldung
Verpassen Sie nichts!
Wir versorgen Sie regelmäßig mit den wichtigsten Neuigkeiten, Artikeln, Themen, Projekten und Ideen für EINEWELT ohne Hunger.
Newsletter-Anmeldung
Verpassen Sie nichts!
Wir versorgen Sie regelmäßig mit den wichtigsten Neuigkeiten, Artikeln, Themen, Projekten und Ideen für EINEWELT ohne Hunger.
Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung.
Das Berliner Startup Klim schmiedet ein Bündnis zwischen Bäuer*innen und Unternehmen. Das Ziel: Mittels regenerativer Bewirtschaftung das CO2 aus der Atmosphäre holen – und in Form von Kohlenstoff im Boden speichern. Dazu bietet die digitale Plattform Dokumentations- und Finanzierungsmöglichkeiten für regenerative Maßnahmen, sowie den Zugang zu Wissen und einer Community. Ein Interview mit Nina Mannheimer.
Der Weg zu einem großen Feld voller Winterweizen beginnt im zweiten Stock eines Berliner Bürgerhauses, und er dauert nur einen Click. Auf dem Bildschirm erscheint ein Satellitenbild, darauf ein markiertes Areal. „Willkommen bei meiner Test-Farm“, sagt Nina Mannheimer. Landwirtschaftlich wirkt das Interieur der ehemaligen Wohnung nicht: Ein großer Konferenztisch, dahinter zwei Räume mit je sieben Computerplätzen; im Flur vier schalldichte Kabinen, dazwischen Blumensträuße („von der letzten Pizzaparty“) vor hellbraunen Tapeten – diese Mischung aus Retrostil und Hipster beherbergt ein Startup, das in der deutschen Landwirtschaft gerade eine kleine Revolution anzettelt: Regenerative Landwirtschaft skalieren und die Bauern damit auch zusätzliches Geld verdienen lassen. Wie soll das gehen?
Nina Mannheimer, Mitgründerin und Chief Product Officer (CPO) von „Klim“, lächelt einen Moment lang stumm über die Frage. Warum wohl verbringt sie gerade viel Zeit im Büro und weniger auf den Feldern ihrer Klienten? Klim wächst – das im August 2020 gegründete Startup mit seinen aktuell 55 Angestellten sucht gerade „Klimanians“ für 17 offene Stellen. „Böden haben ein Riesenpotenzial, um CO2 zu speichern – wir machen Landwirtschaft zum Teil der Lösung“, sagt sie.
Das ist auch nötig. Weltweit trägt Landwirtschaft zu einem Viertel aller Emissionen bei. Gleichzeitig spüren Bäuerinnen und Bauern die Folgen des Klimawandels mit am schnellsten und am drastischsten: Ernten werden unsicherer und magerer; allein in Deutschland, das noch kein Hotspot des Klimawandels wie andere Regionen ist, führen extreme Wetterereignisse zu landwirtschaftlichen Schäden von über sechs Milliarden Euro. Doch eine andere Zahl stemmt sich dagegen. 2,5 Milliarden Tonnen – so viel Kohlenstoff beherbergen Agrarflächen in Deutschland nach Angaben des Thünen-Instituts. Dieser Speicher ist ein Schatz. Ihn zu erhalten und zu vermehren scheint ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz zu sein; je weniger Kohlenstoff dem Boden entweicht und je mehr dieser aufnehmen kann, desto besser. „Es reicht längst nicht mehr, sich nur auf die Reduzierung von Emissionen zu konzentrieren“, sagt Mannheimer, 29. ,,Wir hinken derart den Klimazielen hinterher, dass wir den Kohlenstoff schlicht aus der Atmosphäre kriegen müssen – eben auch durch Speicherung in unseren Böden."
Wie das geht, demonstriert sie am Computer. Denn was Klim ausmacht, ist im Grunde eine digitale Toolbox, welche das Unternehmen den Landwirten in die Hand gibt. Welchen? „Allen“, lacht Mannheimer. „Wir wollen skalieren, wenden uns an alle. Mit uns arbeiten konventionelle und Demeter-Landwirte. Es geht um bessere Böden. Das hilft dem Klima und stabilisiert die Ernteerträge. Wer will das nicht?“ Also klickt sie am Bildschirm einen Button. „Zu meinem Betrieb“, steht darauf. Mit Hilfe des hochgeladenen EU-Agrarantrags, den jeder Landwirt stellt, wird so jedes beackerte Feld sichtbar. „Woran willst du arbeiten?“, fragt der nächste Button und schlägt vor: Fruchtfolge, Düngemittel, Bodenverarbeitung & Aussaat und Pflanzenschutzmittel bieten sich als Hebel an, um die Bodenqualität zu verbessern, den Humusaufbau zu fördern – und damit die Fähigkeit, mehr Kohlenstoff aufzunehmen.
„Erst einmal aber die Bestandsaufnahme“, sagt Mannheimer und tippt in ihrer Demonstration für ein Feld ein, was und wie auf den 14,74 Hektar bisher angebaut wurde. „Ausgangsszenario: 35,7 Tonnen CO2“, antwortet der Bildschirm; so viel wurde durchschnittlich emittiert. „Kann man verbessern“, murmelt Mannheimer. Sie gibt ein, dass bei der nächsten Ernte des Winterweizens Reste auf dem Feld bleiben werden, dass eine den Boden auflockernde Zwischenfrucht, eine Gründecke auch angepflanzt werde. Prompt errechnet die Klim-Toolbox eine Spanne von 664 Euro bis 1200,79 Euro. Die würde der Landwirt für seine Klimaschutzmaßnahme auf dem Acker erhalten. Von wem? „Wir haben zwei Bereiche“, sagt Mannheimer. „Zum einen arbeiten wir mit Unternehmen wie etwa Lebensmittelkonzernen zusammen, die in ihren Lieferketten, sagen wir bei Weizen, beispielsweise gern sechs Tonnen Kohlenstoff einsparen wollen.“ Der für sie produzierende Landwirt agiert in Begleitung von Klim – und das Unternehmen zahlt für jede eingesparte Tonne 50 Euro; zwei Drittel davon gehen direkt an den Landwirt. Im zweiten Bereich können Landwirte, die nicht in eine direkte Lieferkette eingebunden sind, ihre Reduktionen als Zertifikate an Andere verkaufen.
Wir hinken derart den Klimazielen hinterher, dass wir den Kohlenstoff schlicht aus der Atmosphäre kriegen müssen – eben auch durch Speicherung in unseren Böden.
Klim überprüft die Arbeit auf dem Feld mittels internationaler Klimamodelle, die wissenschaftliche Daten, Bodenproben und Wetterdokumentationen nutzen. Klim wertet Satellitenbilder aus, schaut sich den EU-Antrag und Rechnungen an und besucht bei Bedarf die Äcker persönlich. Die Rechnung hinter all dem ist überschaubar: Jede Handlung hat einen Effekt. Wer die Bodenbearbeitung minimiert, die Fruchtfolgen ausweitet, Zwischenfrüchte anbaut, mehr Grünflächen zulässt – der erhöht die Nährstoffeffizienz des Bodens, welcher wiederum weniger Pflanzenschutzmittel benötigt. Was Klim anstrebt, ist eine Win-Win-Situation. „Die Landwirtinnen und Landwirte erhalten gesündere Böden, dadurch stabilere Erträge und über die CO2-Einsparung ein Zusatzentgelt“, sagt Mannheimer. „Also ein gutes Gewissen und eine verbesserte Betriebsbilanz.“
Bleibt die Frage, warum nicht gleich Agrarökologie vollends unterstützt wird. „Wir sind nicht anti-bio“, entgegnet sie. „Aber die Zeit drängt, und wir bieten eine schnell integrierbare und skalierende Herangehensweise an.“ Vor 30 Jahren habe es die Prognose gegeben, dass bis heute die Hälfte der gesamten Landwirtschaft ökologisch werde, „das ist nicht eingetreten“. Der Handlungsbedarf bei CO2 aber bestehe davon unbenommen. „Wir offerieren einen Weg.“ Man kann sagen: Klim verfolgt einen realistischen Ansatz, nimmt die Landwirte von dort mit, wo sie sind. „Wer vor fünf Jahren einen neuen Stall für 100.000 Euro gebaut hat, der wird nicht von heute auf morgen nur noch auf Hafermilch setzen.“ Ihr gehe es, sagt Mannheimer, um eine smarte Integration von Tieren.
Die Zeit drängt, und wir bieten eine schnell integrierbare und skalierende Herangehensweise an.
Mannheimer redet schnell, gestikuliert mit den Händen. Manchmal schaut sie dabei in die Ferne, dann kommt das Visionäre ganz nah. Ihre Sätze füllen sich mit englischen Wörtern, sie hat am King’s College in London studiert, „Economics and War Studies“. „Damals hatte ich Landwirtschaft und Klimawandel noch nicht im Kopf“, lächelt sie. Am Ende ihrer Schulzeit habe die Finanzkrise die Agenda beherrscht, die Angst vor Jobverlusten; in ihrem Politikstudium setzte sie andere Schwerpunkte wie Konfliktforschung.
In ihrer Biografie liest man, dass bei ihr Manches schneller ging als bei anderen. Einen Frühstückslieferservice gründete sie in London, schuf und transformierte diverse Brands bei der Agentur Akqa, war Expertin beim Unterkunftsportal Airbnb. „Ich bin etwas ungeduldig als Mensch“, sagt sie. Und etwas fehlte. Der Klimawandel rückte ins Bewusstsein. Die Überzeugung wuchs, mehr zu tun. „Wer welche Schuhe trägt, oder ob jemand viel reist – das waren Ergebnisse, die für mich an Wichtigkeit verloren.“ Man verbringe ja relativ viel Zeit mit Arbeit, „das will ich für Ergebnisse nutzen, mit denen ich etwas anfangen kann“.
Einen landwirtschaftlichen Hintergrund hat sie nicht. Als leidenschaftliche Köchin sei sie auf der Suche nach nachhaltigem Gemüse mit intensivem Geschmack gewesen, habe sich mit Permakultur beschäftigt. „Es wirkte auf mich aber nicht sehr skalierbar“. Über ihr Thema Nährstoffreichtum und Geschmack sei sie dann auf das weitaus skalierbarere Thema der Kohlenstoffspeicherung gekommen. „Mein späterer Mitgründer Robert Gerlach hatte da schon begonnen, sich analytisch damit zu auseinanderzusetzen.“ Der Oxford-Absolvent, den sie über den Investor „Atlantic Food Labs“ kennengelernt hatte, kam dann auf die Idee einer Unternehmensgründung, Mannheimer zog mit.
Als das Gespräch endet, wirkt der große Tisch nicht mehr so verwaist wie zu Beginn. Leute kommen in den Flur, setzen sich in die Schallkabinen und schließen ihre Laptops an. Mittlerweile sind über 3500 Landwirte auf der Plattform registriert, nutzen dort auch Fortbildungs- und Austauschangebote – alles in der Tendenz steigend. „Bei Unternehmen, Landwirten, überhaupt in der Gesellschaft dringt langsam durch“, sagt Mannheimer, „dass die regenerative Landwirtschaft ein Thema ist, dem man sich besser stellt.“ Dann ruft sie der nächste Termin.