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Einheimischer Reis kostet in Togos Hauptstadt Lomé fast doppelt so viel wie die importierte Ware aus Thailand. Doch es gibt gute Gründe, das lokale Produkt zu bevorzugen
Der Duft von Reis zieht über die nächtliche Terrasse in Bekpota Atchantime, einem Wohnviertel der togoischen Hauptstadt Lomé. Im Schein einer Energiesparlampe steht die 34-jährige Patricia Adragni mit ihrer Schwester Ornella am Herd, die beiden kochen das Abendessen für sich und ihre Mutter. Weil es in den Räumen ihres kleinen Hauses auch abends immer noch zu warm ist, befindet sich die Küche in einer Ecke der Veranda. In der gegenüberliegenden Ecke sitzt Mutter Vicentia Pauline Sokpoli auf dem Sofa und plaudert mit einer Nachbarin. Währenddessen zerkleinert Patricia das Huhn, das es zum Abendessen geben soll.
Es handelt sich um ein „poulet bicyclette“, wie es hier heißt, ein „Fahrrad-Huhn“. Warum es so genannt wird, ist nicht ganz klar, gemeint ist auf jeden Fall ein Vogel, der noch vor kurzem durch das Viertel lief. „Importierte Hühnerteile kaufe ich nie“, sagt die junge Frau, „obwohl sie billiger sind.“ Sie gibt ihr Geld lieber einer ihrer Nachbarinnen oder einem Bauern aus der Region. Zum Huhn kocht sie Reis und Tomatensoße, alle Zutaten wurden in Togo hergestellt. „Ich kaufe nur togolesische Produkte“, sagt die 34-jährige Verwaltungsangestellte.
Patricia und ihre Familie sind Teil der kleinen, aber wachsenden togolesischen Mittelschicht. Sie achten beim Einkauf nicht nur auf den Preis, sondern auch auf Qualität. „Man hört doch so viel von den schadlichen Folgen aller möglichen Zusatzstoffe“, wirft Patricias Mutter vom Sofa aus ein. „In Konserven zum Beispiel. Oder das ganze Salz in Brühwürfeln und anderen Fertigprodukten, das ist doch alles nicht gesund.“ Patricia geht es beim Kauf lokaler Produkte nicht nur um ihre Gesundheit, sie denkt vor allem politisch. „Wir können als Volk nur Fortschritte machen, wenn wir uns selbst helfen“, fasst sie ihre Überzeugung zusammen. „Das fängt damit an, dass wir unsere eigenen Produkte kaufen.“ Und dadurch die Kaufkraft der Produzentinnen und Produzenten stärken, die meist auf dem Land leben. Auf diese Weise könne jeder mithelfen, die Armutsrate in Togo zu senken.
Essi Essenam Ameganvi ist eine der Produzentinnen, die Patricia beim Einkauf im Sinn hat. Am Morgen tastet die Kleinbäuerin mit ihren Fingern über die trockene Erde eines Reisfeldes am Rande von Notsé, einem Dorf rund 100 Kilometer nördlich von Lomé. Auch ohne hinzugucken, erfühlt sie das Unkraut zwischen den Reispflanzen und reißt es mit einem Ruck heraus. Währenddessen lässt sie ihre Augen immer wieder über Bananenstauden, Mangobaume und Kokospalmen bis zum Horizont schweifen. Gelegentlich schaut sie kurz zu ihrem Kollegen Mensah Adrekpe, der wie sie zur Koopera- tive der Reisbauern des Dorfes Notsé gehört.
„Wenn ich sehe, wie meine Pflanzen gedeihen, gibt mir das neue Energie.“
Adrekpe steht mit seinen rissigen Füßen barfuß im Feld. Gerade schlägt er mit seinem Buschmesser auf einen Strauch ein, der zwischen dem Reis gewurzelt hat. Dem 56-Jährigen ist anzumerken, dass ihm das stundenlange Hocken und die Arbeit in gebückter Haltung schwerfallen. Auch Ameganvi stehen einige Schweißperlen im Gesicht. „Aber ich liebe die Feldarbeit und die Pflanzen“, sagt die Reisbäuerin. „Wenn ich sehe, wie meine Pflanzen gedeihen, gibt mir das neue Energie.“
Zusammen mit ihrem Mann hat sie vier Kinder großgezogen. Alle konnten die höhere Schule besuchen, und ihre beiden ältesten Töchter studieren bereits. „Die Bildung unserer Kinder verdanken wir dem Reis“, sagt Ameganvi. Das Gehalt, das ihr Mann als Ausbilder bei einer staatlichen Behörde verdiente, war für die Familie nur ein Zubrot. Erst recht gilt das für die Rente, die er inzwischen bekommt, gerade mal 20.000 westafrikanische Francs im Monat, gut 30 Euro. „Inzwischen macht der Reis bestimmt 70 Prozent unseres Einkommens aus“, schätzt Ameganvi.
Vor fünf Jahren wurde die Bäuerin Mitglied der Kooperative „Freunde der Erde“, zu der auch ihr Kollege Adrekpe gehört. „Zusammen bekommen wir leichter Kredite für Saatgut oder Dünger und können unsere Erfahrungen austauschen“, erklärt Ameganvi. Die insgesamt zwölf Mitglieder bauen auf fünf Hektar gemeinsam Reis an. Einige haben nebenbei noch private Felder, so wie Ameganvi und ihr Mann. Was sie ernten, verkaufen sie an ESOP, ein Dienstleistungsunternehmen für bäuerliche Kooperativen. Dort bekommen sie für ein Kilo 150 westafrikanische Francs, auf dem freien Markt meist nur 100.
„Wir können mehr bezahlen als andere, weil wir nicht den Marktgesetzen folgen“, erklärt Carole Ahoulimi wenig später, die Leiterin der ESOP- Filiale in Notsé. „Das geht nur, weil wir den Reis veredeln.“ Seit Dezember 2013 wird der Reis in Notsé geschält, verlesen und verpackt. Davon profitieren die fast 800 Bäuerinnen und Bauern, denen ESOP ihre Ware zu einem höheren Preis als dem marktüblichen abkauft. Außerdem verdienen sechs festgestellte Mitarbeitende und rund zwanzig Tagelöhnerinnen bei ESOP ihren Lebensunterhalt.
Die Frauen kommen täglich, um den Reis zu verlesen. In einer Ecke des Hofes füllen sie die ungeschälten Körner aus großen Aluminiumschüsseln in eine Mühle. Darin werden die Silberhäute und Keimlinge maschinell entfernt, die Körner anschließend poliert. Am unteren Ende rieselt blanker, weißer Reis in bereitstehende Schüsseln. Eine davon nimmt Abla Yovo mit zu dem überdachten Platz in der Mitte des Grundstücks. Dort sitzt die 25-Jährige dann zwischen den anderen 20 Frauen, die den geschälten Reis in stundenlanger Handarbeit verlesen.
Die Bildung unserer Kinder verdanken wir dem Reis
Die meisten tragen grüne Arbeitskittel und aus hygienischen Gründen Kopftücher. Yovo schiebt die Körner mit der rechten Hand auf einem türkisgrünen Plastikteller auseinander. So legt sie die braunen und schwarzen frei, die sie sorgfältig mit den Fingern herauspickt. Pro Tag schafft sie 25 bis 50 Kilo Reis, abhängig von dessen Qualität. Eine mühselige Arbeit, dennoch ist Yovo froh über den Job. „Sonst hätte ich gar kein Einkommen.“
Kaufen kann man den Reis von ESOP, der fast doppelt so teuer wie der aus Thailand importierte ist, unter anderem im Laden von OADEL in Lomé. Patricia Adragni wandert in ihrer Mittagspause häufig durch die hölzernen Regalreihen, denn das Geschäft namens BoBaR, also „Boutique-Bar-Restaurant“, ist von ihrem Buro aus nicht allzu weit entfernt. Dann schlendert sie an Keksen aus Kochbananen, Erdnussbutter und Sojamehl vorbei, an Couscous aus Soja und Spaghetti aus Mais, an Honig und Konfitüren aus Passionsfrucht, Papaya und Wassermelone. Heute will sie Reis und Avocado-Wein für das nahende Wochenende kaufen, ihre Familie erwartet Besuch.
Während Patricia und ihre Schwester Ornella am nächsten Abend kochen, klopft es immer wieder an das Hoftor aus Metall. Nachbarinnen schauen auf einen abendlichen Plausch vorbei und ziehen dann weiter. Schließlich kommt auch der erwartete Gast. Für den Fall, dass noch jemand spontan zum Essen bleibt, haben die Schwestern ausreichend Reis gekocht. Gastfreundschaft ist ebenso Teil der togolesischen Kultur, wie Maisbrei, Reis und „poulet bicyclette“.