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Wieso wird Schokolade nicht dort in Tafeln gegossen, wo auch der Kakao angebaut wird? Autor Frank Brunner analysiert die brüchige Wertschöpfungskette der Branche von der Plantage bis in den Supermarkt.
Am Vormittag hatte Gerd Müller Adzopé-Akoupe besucht, eine Region im Südwesten der Elfenbeinküste. Dort befindet sich die Kakao-Kooperative Coopaako Coopca, auf der die beliebten Bohnen nicht von Kindern geerntet werden. Keine Selbstverständlichkeit in Westafrika. Damit dieses Beispiel Schule macht, unterstützt die Bundesregierung ein Projekt namens Pro-Planteurs, das sich für nachhaltigen Kakaoanbau engagiert. Nun ist Entwicklungshilfeminister Müller auf dem Weg in die ivorische Hauptstadt Abidjan, wo die einzige Schokoladenfabrik in der Elfenbeinküste liegt. Es ist der 1. März 2017 und der Wagen des Ministers schlängelt sich durch den dichten Verkehr.
Als Müller die Produktionshalle erreicht, steckt Gunther Beger noch im Stau. Er ist im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verantwortlich für Grundsatzfragen der Entwicklungshilfe und gehört in der Elfenbeinküste zu Müllers Delegation. Mit etwas Verspätung erreicht dann auch Beger die Schokoladenfabrik. Er setzt eine Kopfhaube auf, bindet sich den Mundschutz um und staunt über die moderne Ausstattung. „Das war alles höchst professionell, die Verpackung, die Hygienestandards und die Schokolade schmeckte auch noch hervorragend”, sagt Beger. Tatsächlich produziert die französische Firma Cémoi in Abidjan seit 2016 nicht nur für den heimischen Markt, sondern auch für den Export. 5000 Tonnen im Jahr. Ausgelastet ist die Fabrik damit nicht.
Die Elfenbeinküste ist der größte Kakaolieferant der Welt. Jedes Jahr verlassen fast zwei Millionen Tonnen das Land, das sind 40 Prozent des weltweiten Anbaus. Es scheint plausibel, die Schokolade dort zu produzieren, wo der Kakao wächst. Zumal das meiste Geld nicht mit dem Rohstoff, sondern mit dem Endprodukt verdient wird. Von der Schokoladenherstellung würden die Menschen in der Elfenbeinküste profitieren. Doch abgesehen von einigen Hinterhofbetrieben, ist Cémoi das einzige Unternehmen der Branche in der Côte d‘Ivoire. Warum ist das so?
Wer wissen will, wieso der weltweite Appetit auf Schokolade so wenig Wohlstand in den Kakaoanbauländern hinterlässt, der muss den Weg von der Pflanze bis zur verzehrfertigen Tafel verfolgen. Unterwegs trifft man auf Kakao-Bauern, Süßwarenkonzernen und Konsumenten. Dazu kommen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen.
Kakaoanbau ist ein mühsames Geschäft. Die Bäume wachsen nur auf einem schmalen tropischen Streifen in Äquatornähe. Bis sie erste Früchte tragen, vergehen Jahre, in denen die Bauern kein Geld verdienen. Stattdessen müssen sie Pacht für das Land bezahlen, Düngemittel kaufen oder Mitgliedsgebühren an ihre Kooperative entrichten. Weltweit versuchen etwa 5,5 Millionen Menschen, ihren Lebensunterhalt so zu verdienen - meist auf Flächen, die nur zwischen zwei und fünf Hektar groß sind. Etwa zwei Tonnen Kakao im Jahr erntet ein Bauer durchschnittlich. Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene, schätzt, dass in diesem Jahr weltweit rund 4,9 Millionen Tonnen Kakao geerntet werden.
Zunächst öffnen die Bauern die Früchte, trennen Bohnen aus der Schale, legen sie auf den Boden und bedecken sie mit Bananenblätter. Anschließend fermentiert der Kakao mehrere Tage. Am Ende transportieren die Bauern den Kakao zu lokalen Sammelpunkten, wo ihn einheimische Händler aufkaufen. 2017 erhalten Bauern in der Elfenbeinküste für eine Tonne Kakao rund 1300 US-Dollar. In der Regel ist es der Verdienst für das ganze Jahr. Anfang der achtziger Jahre kostete Kakao noch mehr als das Vierfache, gut 5500 Dollar. Ein existenzsicherndes Einkommen ist bei diesem Preisverfall kaum möglich.
Es kann nicht sein, dass die Kakaobauern von ihrer harten Arbeit nicht leben können
Für die Bauern bleibt oft nur eine Möglichkeit: Sie müssen ihre Kosten senken und billiger produzieren. Das heißt, statt Saisonarbeitern arbeiten Kinder auf den Plantagen mit. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten allein in der Côte d‘Ivoire 1,4 Millionen Kinder auf den Kakao-Plantagen.
Bei seinem Besuch in Abidjan kritisierte Entwicklungshilfeminister Gerd Müller diesen Zustand: „Es kann nicht sein, dass die Kakaobauern von ihrer harten Arbeit nicht leben können und Kinder, anstatt in die Schule zu gehen, auf den Plantagen wie Sklaven schuften müssen”, sagte der CSU-Politiker.
Haben die Bauern ihre Ernte verkauft, landen die Bohnen bald im Hafen von Abidjan. Von dort gelangen sie nach Europa, wo sie geröstet, gemahlen und zu Kakaobutter oder Kakaopulver verarbeitet werden. 75 Prozent des in Deutschland verwendeten Kakaos stammt aus den beiden wichtigsten Anbauländern Elfenbeinküste und Ghana.
Nur eine Handvoll internationaler Unternehmen kontrolliert die Verarbeitung und den Handel. Am Schluss der Wertschöpfungskette stehen große Einzelhandelsfirmen und Discounter. Vor allem letztere drücken die Preise. Der Entwicklungshilfeexperte der Bundesregierung, Gunther Beger, sieht deshalb auch die Unternehmen in der Pflicht. „Wir sagen der Industrie: Ihr braucht Kakao, also solltet ihr ein Interesse daran haben, die Bedingungen vor Ort zu verbessern.” Ein erster Versuch ist das „Forum nachhaltiger Kakao”, eine gemeinsame Initiative von Bundesregierung, Industrie, Handel und NGOs mit dem Ziel, die Lebensbedingungen in den Anbauländern zu verbessern.
Derzeit versuchen vor allem verschiedene NGOs, den Kakaobauern zu helfen. Organisationen wie Faitrade oder Rainforest Allianz stellen Zertifikate aus, wenn Bauern oder Kooperativen nachhaltige Anbaumethoden nachweisen. Dazu gehört, auf Kinderarbeit zu verzichten. Laut Bundesentwicklungshilfeministerium sind bundesweit bislang 40 Prozent des Kakaos als nachhaltig eingestuft. Zu erkennen ist das an einem entsprechenden Siegel auf der Schokoladenverpackung. Referatsleiter Gunther Beger sagt: „Unser Ziel ist 100 Prozent nachhaltiger Kakao.”
Friedel Hütz-Adams sieht ebenfalls noch Luft nach oben. Der Kakaoexperte hat aber ein grundsätzliches Problem bei der Zertifizierung. „Die Prämien für nachhaltig hergestellten Kakao - bei Faitrade 180 Dollar pro Tonne - sind viel zu niedrig”, moniert er. Damit lasse sich kein existenzsicherndes Einkommen garantieren.
Für die bis Herbst 2017 regierende Koalition aus CDU/CSU und SPD gehörte die Elfenbeinküste zu jenen Kooperationsländern, die Deutschland beim Aufbau von Wirtschaftsstrukturen unterstützt. Ein Ziel ist es, dass der Kakao schon vor Ort weiterverarbeitet und die Bauern dadurch einen größeren Anteil an der Wertschöpfungskette erzielen.
Unser Ziel ist 100 Prozent nachhaltiger Kakao
Dass internationale Süßwarenhersteller in Abidjan im großen Stil Schokolade produzieren, glaubt Agrarexperte Beger nicht. „Wir werden die Industrie sicher kaum dazu bringen, in der Elfenbeinküste bedeutende Werke zu errichten.” Doch Zwischenschritte seien möglich. So könnte Kakaopulver vor Ort hergestellt werden.
Auch Südwind-Mitarbeiter Friedel Hütz-Adams glaubt nicht an nennenswerte Mengen von Schokolade „Made in Ivory Coast”. Grundsätzlich sei es richtig, wenn die Bauern einen höheren Anteil an der Wertschöpfungskette erhalten. Doch derzeit sei die Infrastruktur dafür völlig ungeeignet. Schokolade muss gekühlt werden. Aber Strom ist teuer in der Elfenbeinküste. Schlimmer noch: Aufgrund veralteter und überlasteter Netze gehen in Abidjan und anderswo regelmäßig die Lichter aus. In Ghana ist die Situation ähnlich. Schlechte Straßen und veraltete Häfen sind ebenfalls Standortnachteile. „Eine Erneuerung kostet Milliarden, welche Unternehmen würden soviel investieren, nur weil das entwicklungspolitisch sinnvoll ist?”, fragt Hütz-Adams.
Ein Mittwochvormittag im Oktober 2017 in einer Lidl-Filiale in Berlin-Steglitz. Gut zehn Meter lang ist das Schokoladenregal direkt am Eingang. Gegenüber den Kassen haben die Verkäufer einen weiteren Aufsteller mit Schokolade platziert. Mittlerweile bietet der Discounter auch zertifizierte Produkte an. Die „Fairglobe-Vollmilch-Schokolade” (Kakaogehalt 32%, mit Kakaobohnen aus Ghana) mit Faitrade-Siegel beispielsweise. Wer den Code von der Packungsrückseite auf der Fairtrade-Webseite eingibt, erfährt, dass der Kakao aus der ghanaischen Kooperative Kuapa Kokoo kommt. Offenbar glückliche Bäuerinnen und Bauern lächeln Besuchern der Homepage entgegen und die Chefin versichert: Das Geld aus dem Kakaoanbau komme der Gemeinde zugute. Wieviel Geld verrät sie nicht. Bei Lidl kostet die Tafel (100 Gramm) 1,29 Euro.
Wir müssen bei Konsumenten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass nachhaltig produzierte Schokolade nicht 50 Cent kosten kann
Die mit den Labeln von Faitrade und UTZ versehene hauseigene Marke „Fin-Carré-Alpen-Vollmilch-Schokolade” können Kunden für nur 49 Cent mitnehmen. Der Kakao stammt aus der Elfenbeinküste. Lidl wirbt auf der Rückseite damit, einen „nachhaltigen und zukunftsfähigen Kakaoanbau” zu unterstützen.
Für den Südwind-Experten Hütz-Adams ist das viel zu billig. „Wir müssen bei Konsumenten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass nachhaltig produzierte Schokolade nicht 50 Cent kosten kann”, sagt er. Der Bundesentwicklungshilfeminister sieht das ähnlich. „Wir als Verbraucher haben es in der Hand, dass die Kakaobauern von ihrer harten Arbeit leben können”, so Gerd Müller bei seinem Besuch in der Elfenbeinküste.